Von Carsten Köhler, einem jungen Stenografen aus Ilmenau, der in Leipzig studiert hatte und gelegentlich zum Training kam, erhielt ich eine Einladung zum Leistungsvergleich in Weimar. Er war Mitglied im Thüringer Stenografenverband und wollte mir die Einladung persönlich überbringen. Wir hatten uns verfehlt. Er kam ins Café, wo wir manchmal nach dem Training hingingen. Ich war schon zum Zug gegangen. Am Freitag, 15.11.91, arbeitete ich bis Mittag, erledigte daheim schnell die Hausordnung, ging dann zum Bahnhof. Während der Fahrt wurde es schon dunkel. Im Hotel „Thüringen“, Brennerstr. 42, hatte ich nur ein Doppelzimmer bekommen, obwohl ich mich sofort darum gekümmert hatte. In anderen Häusern, die in einem älteren Hotelführer standen, hatte sich niemand gemeldet; wahrscheinlich waren sie geschlossen. Alles befand sich im Umbruch. Das Zimmer war fürstlich, ein wunderbares Ehebett stand darin. Schade, dass ich allein war. Ich hatte zu einem Arbeitskollegen, der ein großer Weimar-Fan war, aus Spaß gesagt, fahr doch mit, als er mich ob dieses Aufenthalts beneidete. Kurz nach der Ankunft im Hotel lief ich noch mal die wenigen Meter zum Bahnhof. Abends übte ich Steno, indem ich versuchte, im Radio gesendete Nachrichten mitzuschreiben.
Das Wettschreiben war am 16.11. ab 9 Uhr in der Berufsschule für Wirtschaft und Verwaltung, Washingtonstr. 53. Mein Gepäck musste ich mitnehmen. Ich hatte nur für eine Nacht gebucht, logischerweise war das Zimmer zu räumen. Das war wie oft bei berufsbezogenen Seminaren mit Übernachtung in Dresden. Die Reisetaschen wurden im hinteren Bereich der Schulungsräume abgestellt. Anderen Teilnehmern ging es auch so. In Weimar gab es noch O-Busse. Ich traf in der Schule einige Bekannte und ganz kurz Herrn Weber. Erstmalig sah ich die Übungsmethode Walkman mit Stenokassette. Man kann sich so, ohne andere zu stören, einschreiben. Später habe ich mir auch so ein Teil gekauft. Meistens wurde vorm Wettkampf ein kurzes Probediktat gegeben, um sich an die Sprechweise bzw. den Klang der Stimme des Ansagers zu gewöhnen, und zum Abschluss des Diktats immer gefragt, ob alles (akustisch) verstanden wurde. Auf den Schulfluren standen in Glaskästen verschiedene Schreibmaschinen als Anschauungsmittel. Ich hätte am Maschinenschreiben teilnehmen können, eine Leihmaschine wäre möglich gewesen. Nach dem Wettschreiben lief ich zum Bahnhof, um zu erkunden, wie ich nach Hause komme. Ich musste vor der Siegerehrung abreisen, später fuhr nur Schienenersatzverkehr. Auch in Dresden hatte ich oft zu tun, den Zug nach Hause zu erwischen. Die Urkunde (240 Silben) ließ ich mir von Herrn Weber schicken. 1994 verlebten wir eine Woche Urlaub in Weimar und erkundeten die Stadt und die nähere Umgebung, wofür 1991 keine Zeit war. Ohne größeres Gepäck spaziert sich ’s leichter. Manchmal wird schon eine mittlere Handtasche, die ganze Zeit über der Schulter getragen, zur Qual. Als ich die neuen Zimmerpreise des Hotels „Thüringen“ (Reklame auf dem Bahnhof) las, vergingen mir Hören und Sehen.
© Annemarie Baumgarten 2024-06-25