Ein unvergessliches Lachen

Siegfried Grillmeyer

von Siegfried Grillmeyer

Story

Manches Lachen vergessen wir ein ganzes Leben lang nicht. So vielfältig es auch sein mag, ob ein zustimmendes Grinsen, ein wohlwollendes bis verliebtes Lächeln, oder ein lautstarkes Lachen, es sind immer Formen der Zuwendung und damit ein Brückenschlag von einem Du zum Ich. Manchmal können wir Paare beobachten, wo eine/r dem anderen zulächelt und damit eine Verbundenheit verströmt, die uns sprachlos macht und es gibt nichts, was ansteckender ist als ein herzhaftes Lachen, in das wir schlichtweg nur einstimmen können.

Wenn ich an diesen langen Sommer Ende der 80er Jahre denke und die darauffolgenden zwanzig Monate des endgültigen Abschieds von der Kindheit, dann habe ich wieder ihr Lachen im Ohr. Und es gibt so viele Momente, die vor meinem geistigen Auge auftauchen. Ihr begeisterndes und fröhliches Lächeln, wenn ich sie besuchte oder zu gemeinsamen Unternehmungen abholte. Ihr lautes Auflachen, wenn wir unterwegs waren und seltsame Dinge entdeckten – und seien es nur Spatzen, die sich um Brotkrümel zankten. Sie hat mich immer wieder angesteckt, wenn sie lauthals über etwas Witziges losprustete und dabei konnte sie auch so herzhaft über sich selbst lachen, über den kleinen Tollpatsch in ihr und ihre größeren Unzulänglichkeiten. Und wenn wir in Gesellschaft waren, half sie oft über die manchmal einsetzende Sprachlosigkeit hinweg und erfüllte uns mit einer ansteckenden Fröhlichkeit. Ohne es zu wissen, war sie eine geheime und weise Lehrerin des Lachens und damit der Freude an den kleinen Dingen in der menschlichen Verbundenheit.

Kennengelernt hatte ich Traudl bereits am zweiten Tag meines Zivildienstes. Ich sollte sie im Rahmen des Behindertenfahrdienstes abholen zu einem Ausflug. Jemand hatte sie bereits vor die Tür des kleinen Hauses gebracht und sie wartete in ihrem Rollstuhl. Als ich näherkam, hellte sich ihr Gesicht auf und sie begrüßte mich mit einem Lächeln. „Kein Problem“, hatten die Zivikollegen gesagt, „die Traudl ist eine ganz liebe Spastikerin, mit der kommst du auf jeden Fall zurecht.“ Meine Unsicherheit verflog auch schnell bei dieser ersten Begegnung, auch wenn ich damals überhaupt nicht einordnen konnte, was diese spastische Lähmung mit ihren ruckartigen und völlig unvorhersehbaren Zuckungen bedeutete. Da man sie als Kind aufgrund der Spastik versteckte, hatte sie nicht richtig sprechen gelernt. Aber wir fanden eine gemeinsame Sprache und mit der Zeit wurde mir klar, dass ihre vermeintlich eingeschränkte Lern- und Wahrnehmungsfähigkeit weniger eine geistige Behinderung, sondern vielmehr Folge ihrer sozialen Vereinsamung in der Kindheit war. Ich hatte immer mehr das Gefühl, dass die Erkrankung ihres Nervensystems nur das Rückenmark, aber nicht das Gehirn und damit ihre Intelligenz einschränkte.

Während des Zivildienstes war sie mir eine ständige Begleiterin, doch danach habe ich sie nie wieder gesehen. Aber ihr Lachen werde ich ein ganzes Leben lang nicht vergessen.

© Siegfried Grillmeyer 2021-06-05

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