„Und warum schaust du nirgendwohin?“, fragte Akiva. Die Fragen mit „warum“ waren seine Lieblingsfragen. Der Seiltänzer griff in den Sand und zog an dem versteckten Seil. Es spannte sich auf die kleine Höhe von Akivas Kopf. „Bitte“, er ermutigte Akiva, aufs Seil zu steigen und nach dem Zirkus zu suchen. Akiva schaffte es nur, sich ganz kurz auf dem Seil zu halten, denn als er nach dem Zirkus suchte, fiel er auf die Düne direkt unter ihm. „Es geht nicht“, sagte Akiva, „so finde ich den Zirkus nie.“ „Dann geh auf dem Seil. Vielleicht landest du ja irgendwann im Zirkus“, sagte der Seiltänzer zwinkernd. Aber Akiva konnte die Gruppe doch nicht verlassen. „Weißt du, warum ich mit dem Seiltanzen angefangen habe?“, fragte der Seiltänzer. Akiva schüttelte den Kopf. „Die Wüste lehrt uns alle, an nichts festzuhalten, weil es so viele Trugbilder in ihr gibt und sie in der Hitze wie da oben auf dem Seil das Ende unseres Lebens bedeuten können, wenn wir verloren gehen. Aber viele Wanderer vergessen das und verlieren ihr Leben, weil sie immer etwas finden wollen.“ „Genauso, wie wir immer wissen wollen, wer jemand ist“, fügte der Clown hinzu und verdeckte mit beiden Händen sein Gesicht, öffnete sie und grinste hindurch. „Ein Wanderer, der nichts will, ist unbesiegbar. Durch das Loslassen fand ich Halt“, sagte der Seiltänzer und ging dabei wieder die hohe Düne hinauf. Der Clown schaute zu Akiva auf die kleine Düne, weil der Seiltänzer widersprüchlich gesprochen hatte. „Ich schaute mit geöffneten Augen nirgendwohin und blieb naiv. Ich glaubte, ich würde auf dem Sand spazieren. Ich sah nichts, aber in der Höhe entdeckten viele Wanderer irgendwann mich“, erzählte er weiter. Alle drei folgten dem Seiltänzer die hohe Düne hinauf. Als sie ganz oben waren, sahen sie hinter der Düne eine riesige Palme neben einer kleinen türkisfarbenen Fläche, die nach Wasser aussah. Das Seil des Seiltänzers war ganz oben an der Palme befestigt. „Genauso ist das Seil an einer Palme hinter den nächsten Dünen in der anderen Richtung festgebunden“, sagte der Seiltänzer. An die große Palme in dieser winzigen Oase war auch ein großes, kräftiges Kamel festgebunden, das von dem Wasserbecken trank. „Haben wir eine Oase erreicht?“, fragte der Jongleur, weil der Clown sich vor Freude nicht mehr einkriegte. Sie alle hatten nichts mehr zu trinken und stürzten sich auf die Oase. Der Clown stolperte und rollte die Düne runter, der Jongleur holte beim Laufen alle seine Datteln zum Waschen raus und jonglierte sie. Akiva ging neugierig weiter neben dem Seiltänzer. Unten an der winzigen Oase angekommen trank auch Akiva vom Wasser. Der Seiltänzer kletterte die Palme hoch, löste das Seil und ging zu seinem Kamel, dessen rechtes Auge sich bewegte, das linke aber starr und matt war. Er streichelte es und sagte beim Richten des Sattels: „Unsere Vorfahren sagten, dass uns das unvorhersehbare, unberechenbare Ende unseres Lebens mal mitaufgesattelt, mal zu Fuß neben dem Sattel auf der anderen Seite des Kamels überallhin begleitet. In der Wüste sind wir nie allein, sondern zu zweit. Wir brauchen diesen Begleiter, um am Leben zu sein und er uns, um so, wie er ist, lebensbeendend, zu sein. Solange wir ihn nicht alleine wandern und zu sehr mit sich, also mit dem Ende unseres Lebens, beschäftigen lassen, lässt er uns weiterwandern.“ Akiva, der Jongleur und der Clown saßen am Wasser und bissen in ihre Dattel, hörten aber trotzdem alles, was der Seiltänzer zu seinem großen Kamel sagte. „Dann ist ihm bestimmt auch nicht wichtig, wer du bist, solange du ihn begleitest und er dich“, ergänzte der Clown.
© thewrittenunwritten 2024-08-28