von Sadda Mar
Ein zerrissener Rabe fliegt oben am Himmel über mich. Ich sitze schon seit einer halben Stunde auf der Bank am Waldteich, ein mulmiges Gefühl im Bauch. Er wird mich versetzten und ich ihn einfach vergessen so wie er mich vergessen hat und dann hat auch endlich mein Herz wieder Ruhe. Jetzt bummert es ganz unruhig vor Aufregung. Da knackst es und er stakst durch die Büsche und ich schleuder ihm gleich entgegen: “Ich mag nicht: Warten- und diese grauen Ungeheuer aus Beton”. Der Begleiter lächelt entschuldigend, und lässt sich neben mir auf der Bank nieder. Er hat verstanden: “In der Marktgasse hat jetzt auch noch der letzte kleine Laden zugesperrt. Es ging einfach nicht mehr, alle fahren lieber nach Brinje, dort gibt es viel mehr Auswahl!”. Es gibt eigentlich nicht viel, was mich mit meinem Begleiter verbindet. ER war weit in der Welt umhergereist, hatte in großen Städten gelebt, war studiert und eloquent, ich war die Ewig-hiergebliebene, hatte anfangs meine Eltern in der Landwirtschaft unterstützt, zuerst Tiere und nun Menschen hinter dem Tresen versorgt und lebte mein eintöniges Leben. Nur dieser Abschaum gegenüber moderner Architektur, der schweißt uns irgendwie zusammen und so beweinen wir die vielen Altbauvillen und ihre riesigen waldigen Grundstücke, die sich innerhalb kürzester Zeit in enge Käfigbauten mit weißen, nichtssagenden Fassaden verwandeln und die kleinen Läden, die sich zu einem zentralisierten Plattenmonster verdichten.
Heute kommen wir schnell aus dem Jammern heraus, weil der Begleiter vorschlägt, das “Dorf-oder-Natur-Spiel“ zu spielen. Das geht so: Man schließt die Augen und lauscht. Dann sagt jemand “Dorf” oder “Natur” und die andere Person muss das Geräusch finden, das gemeint ist. Heute beginne ich. “Dorf”, sage ich, damit er nur ja nicht auf meine ohrenbetäubenden Herzgeräusche, sondern ganz weit weghört. Der Begleiter lauscht. Entfernt nur dringen die Dorfgeräusche bis hierher, mehr Klangfetzen als tatsächlicher Lärm. Die Naturtöne überwiegen.
“Das Folgetonhorn?” – “Nein.”
“Dann aber die Straßenkehrmaschine!” – “Auch nicht!”
“Also gut, vielleicht das Rauschen der Autobahn?“ – “Richtig!”
“Jetzt du: Natur!”, ich schließe die Augen und höre, genieße den Klangteppich rundherum. ignoriere mein Herzrauschen: Autobahn ist dagegen der reinste Flüsterton. “Der Zilpzalp da drüben?“ – “Nein.”
“Das Storchengeklapper?”-„Nein.“
“Das Summen der Blätter im Wind?” – “Ja genau, das hab ich gemeint.” Ich öffne die Augen, da sind die Begleiteraugen auf einmal ganz knapp vor meinem Gesicht. Und sie schauen so hundig, so treu drein, das mir die Gänsehaut über den Rücken kriecht. Was hätte ich da auch anderes tun sollen, als panisch aufspringen und heimlaufen. Jetzt, zurück in der Wohnung, fallen mir viele Alternativreaktionsmöglichkeiten ein: Treu und hundig zurückschauen, zum Beispiel, oder die Kühle der Gänsehaut noch ein bisschen prickeln lassen. Wegschauen und das Geräuschespiel weiterspielen. Ich ärgere mich. Vielleicht habe ich die Zukunftsträchtigkeit im Begleiterblick einfach überinterpretiert und überreagiert. Vielleicht waren da gar nicht so viele Hochzeitsglocken, dass meine Alarmglocken gleich hätten alle Naturgeräusche übertönen müssen.
© Sadda Mar 2021-06-09