von Verena Lechner
Die Straßenbahn fuhr in die Haltestelle ein und die Türen öffneten sich: Menschen stiegen aus, Menschen stiegen ein und zusätzlich wehte mit kühler Dezemberluft eine Brise jenes Geruchs ins Innere, der für mich typisch für Istanbul blieb: Eine Mischung aus Essen, Fisch, salziger Meeresluft und einer Nuance unterschiedlichster Gewürze.
Nahe der Galatabrücke verließen wir die Bahn und tauchten ein in das geschäftige Treiben, das nur von den Fischern auf der Brücke unterbrochen wurde, die unbeirrt und wie in stiller Meditation ihre Angeln von der Brücke hielten. Am Kai fand sich ein schwimmendes Restaurant, das Fischsnacks zum Mitnehmen anbot und davor eine lange Schlange mit wartenden Kunden neben einem Verkäufer für Brezel. Hier ging es zu wie im Taubenschlag: Verkehrslärm, Stimmengewirr, Menschen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, schnell wechselnde Gerüche – es waren so viele Eindrücke.
Wir verstärkten das Erlebnis noch, in dem wir dem Gran Bazar den obligatorischen Besuch abstatteten. Wieder waren wir von unzähligen Menschen umgeben, die sich durch die Gänge schoben und im Vorbeigehen die Waren begutachteten. Manchmal brach jemand aus dem Strom aus, um sich ein Objekt genauer anzusehen und mit dem Verkäufer in Verhandlungen zu treten. Unsere Verweildauer blieb kurz, lieber machten wir uns auf den Weg zu einem Ort, der zum pulsierenden Herz der Stadt und zu meinem absoluten Highlight werden sollte: zum Gewürzbasar. Im Gegensatz zu seinem großen Bruder tummelten sich hier Männer und Frauen, um Lebensmittel zu erstehen. Es war ein reges Treiben, verbunden mit den Rufen der Marktschreier vor dem Hintergrund der bunten Farben der Gewürze in ihren Gefäßen und durchzogen von unterschiedlichen Duftwolken, die entweder von den Verkaufsständen kamen oder aus den kleinen Buden strömten, in denen zubereitetes Essen auf hungrige Abnehmer wartete. Trotz dieser Fülle für alle Sinne war hier alles in harmonischem Fluss und darin war er für mich versteckt: der Zauber von Istanbul.
Nachdem wir uns mit Früchten und Gewürzen versorgt hatten, genossen wir einen traditionellen Kebab in einem der winzigen Restaurants auf niedrigen Hockern an einem Fogolar. Der war auch notwendig, denn die Winterluft zog durch die undichten Fenster. Es war Silvester, doch das merkte man kaum. Am Abend spazierten wir durch die Innenstadt und beobachteten auch hier den unterschiedlichen Umgang mit dem Jahreswechsel, speziell auf dem Rückweg zum Hotel. Der Weg führte uns durch die Galatabrücke und fasziniert lugten wir durch die Fenster der Lokale, die sich in den Brückenbögen befanden. Große Gesellschaften feierten ausgiebig den Beginn des neuen Jahres, lachten, aßen und tranken und während unten im Warmen Bauchtänzerinnen ihre Künste darboten, standen eine Etage darüber die Fischer in der Kälte – nach wie vor unbeirrt und in stiller Meditation versunken und von fern zog eine Brise mit Gewürzen und salzigem Meerwasser vorbei.
© Verena Lechner 2021-02-12