Eine berechtigte Frage

Gabriela Rodler

von Gabriela Rodler

Story

Auf dem Wunschzettel meines fünfjährigen Sohns Thomas stand ein Kasperltheater mit Figuren. Bei einem Stadtbummel entdeckte er in einem Geschäft ein buntes Theater mit den lustigen Figuren. Ich besprach mich mit meinen Eltern und mein Vater machte einen Vorschlag: „Ein Freund von mir ist Tischler. Der bastelt mir sicher so ein Theater. Er soll es ein wenig größer machen, dann kann ich Thomas etwas vorspielen und muss mich nicht hinter so einem kleinen Theater verstecken.“ Ich war damit einverstanden, meine Mutter würde einen bunten Vorhang nähen und ich besorgte die Figuren.

Die Adventzeit verging mit den angezündeten Kerzen am Adventkranz, Geschichten vorlesen und jeden Tag ein Türchen am Adventkalender öffnen. Einige Tage vor Weihnachten fragte ich meinen Vater nach dem Theater. Er meinte, er würde es kurz vor dem 24. holen, damit Thomas es nicht zu früh sah.

Ich wohnte im Haus meiner Eltern in der Mansardenwohnung. Nicht allzu groß, aber gemütlich. Am Abend des 23. Dezember, als Thomas schlief, schmückte ich den Baum, legte die Geschenke bereit. Mein Vater brachte das Kasperltheater. Erschrocken schaute ich auf das Theater und rief: „Was ist das für eine Pawlatschen?“ Vor mir stand ein ca. 1,70 Meter hohes und 1,50 Meter breites Gestell. Links und rechts jeweils ausklappbare Flügel, damit es nicht umfallen konnte.

„Ja, mein Freund hat es ein bisschen zu gut mit der Größe gemeint“, gab mein Vater zu. Ich war enttäuscht, das einzig Bunte an dem Theater war der Vorhang. Im Stillen überlegte ich, wo ich dieses Monstrum in meiner kleinen Wohnung hinstellen würde.

Der 24. Dezember verging wie immer mit letzten Vorbereitungen und dann endlich war es so weit. Das Christkind war gekommen, die Kerzen leuchteten warm am Baum und spiegelten sich in den bunten Glaskugeln. Einige Wunderkerzen versprühten ihr glitzerndes Licht. Thomas packte seine Geschenke aus, besonders die Kasperlfiguren gefielen ihm. Mein Vater weihte das Kasperltheater gleich ein und spielte Thomas etwas vor.

Am nächsten Morgen kam Thomas zu mir ins Bett kuscheln. Mit dabei der Kasperl mit seiner roten Zipfelmütze, die an der Spitze ein Glöckchen zierte. Der Seppl mit grünem Hut, rot kariertem Hemd und grauer Joppe. Die Prinzessin mit kleiner Krone und rosa Rüschenkleid. Der streng dreinblickende Polizist und natürlich das grüne Krokodil. Thomas und ich beschlossen, die Figuren einzuweihen und gleich ein wenig im Bett damit zu spielen.

Als das böse Krokodil die schöne Prinzessin entführte und der Kasperl mit Seppl sich eine wilde Verfolgungsjagd lieferte und am Ende mithilfe des Polizisten die Prinzessin befreit wurde, strahlte Thomas. Mittlerweile blinzelte die Sonne durch das kleine Mansardenfenster in unser Zimmer. Thomas kuschelte sich an mich, spielte mit dem Kasperl und meinte: „Mama, aber wie hat das Christkind das große Kasperltheater durch das kleine Fenster bringen können?“

© Gabriela Rodler 2020-12-06

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