Eine echte Prinzessin

Johanna Korsmeier

von Johanna Korsmeier

Story

Herr Meier kratzte sich seinen schuppigen Kopf. Eine echte Prinzessin war eine unerfreuliche Angelegenheit. Auch einen erfahrenen Drachen stellt die Betreuung einer echten Prinzessin nämlich vor einige Herausforderungen. Nicht nur hatte man die böse Stiefmutter zu beruhigen, über­fürsorglichen guten Feen regelmäßig Berichte zukommen zu lassen und dem König eine Rechnung für Kost und Logis zuzustellen, also kurz zusammengefast einen Haufen Ver­waltungs­kram, sondern vor allem musste man sich bei einer echten Prinzessin immer darauf einstellen, dass sie aus der Betreuung entwischte, um mit irgendeinem Märchen­prinzen durchzubrennen. So stand es zumindest in seinem Handbuch für Drachen und andere Erzieher. Aber es half ja nichts. Als Drache tut man eben seine Pflicht und wenn das heißt eine echte Prinzessin zu bewachen, dann bewachte man sie eben. „Komm Teddy, dann wollen wir sie uns mal ansehen diese echte Prinzessin“, sagte Herr Meier. Teddy war ein Hundsbär mit großen Kulleraugen, einer Stupsnase und einem ganz kurzen Stummelschwanz. Jetzt kratzte er sich nur mit einer seiner Hinterpfoten hinter einem seiner runden Ohren. „Drücke­berger“, grummelte Meier und schlurfte die Burg­wendel­treppe von seinem Büro in die große Halle hinunter. In der hatte er bereits Kaffee, Saft und Kekse für das Aufnahme­gespräch bereitgestellt. Aus einem Ordner zog er mit zwei Klauen vorsichtig einen Stapel Papier hervor. Kaum hatte er seine Vorbereitungen so vervollständigt, erschien eine Blondine in einem Purpur Kleid mit einem schwarzen Mantel und Diamantendiadem. An ihrer Hand ging ein ganz in pinke Rüschen gehülltes Mädchen mit dunklen Locken und strahlend dunkelbrauner Haut. Das waren die Königin und die Prinzessin. Die Königin zog einen gewaltigen Schrankkoffer mit Wappen hinter ihnen her: „So, da sind wir.“ Herr Meier zog einen Stuhl zurecht: „Sehr schön! Dann nehmen Sie doch erst einmal Platz. Ich hoffe Sie hatten eine angenehme Fahrt. Und das ist die echte Prinzessin?“ „Genau und ich bin ihre Stiefmutter, die Königin“, bestätigte die Königin. Herr Meier schob ihr den Papierstapel über den Tisch entgegen: „Dann müssen Sie einmal hier einiges unter­schreiben und vielleicht mag die Prinzessin sich schonmal ein bisschen umschauen.“ Während die Königin ihre graziöse Unter­schrift mit blutroter Tinte unter die Verträge setzte, streifte die Prinzessin durch die große Halle. Überall waren interessante Dinge zu entdecken. An den Wänden hingen viele bunte Bilder. „Ich mag es hier“, die echte Prinzessin hatte sich umgeschaut und stand nun mit leuchtenden Augen vor der Stiefmutter. Diese reichte den Papierstapel zurück an Herrn Meier und wandte sich dann der echten Prinzessin zu: „Schön! Dann bleibst du brav hier, bis du wieder abgeholt wirst.“ Die Prinzessin nickte eifrig: „Okay.“ Kaum hatte die Königin sich umgedreht und war aus der Tür hinaus als die echte Prinzessin sich schon in einer Ecke der Halle nieder­gelassen und begonnen hatte in einem rosa Büchlein zu malen.





© Johanna Korsmeier 2025-05-29

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Komisch, Hoffnungsvoll, Unbeschwert