von Ingy Gaber
Es gibt bereits viele wunderschöne Stories. Menschen die näher zusammenrücken, warmherzige Hilfsbereitschaft, die Natur erholt sich. Krisen sind in jeder Hinsicht eine Einladung genauer hinzusehen. Wir alle haben jetzt die Chance, durchzustarten sobald sich alles wieder beruhigt. Aber jetzt zu der Frage aller Fragen. Bereit?
Muss ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben?
Das ist mein voller Ernst. Rund um mich herum wird geputzt was das Zeug hält. Fenster, Fensterbänke, Fassaden, Autos…alles blitzeblank. Ich will gar nicht wissen wie es in den Haushalten aussieht. Egal mit wem ich in den letzten Tagen telefoniert habe, alle haben geputzt und geschrubbt wo es nur geht. Manche haben schon die zweite und dritte Putzrunde eingeläutet. Die gesamte Wäsche gewaschen und sogar gebügelt, ganz egal wieviele Personen in dem jeweiligen Haushalt leben. Wenn man aus dem Fenster sieht, kommt ein liebes „Hallo du, gehts dir gut? Bleib gesund“. Wobei ich erwähnen möchte, ich bin wirklich gesegnet mit meiner Nachbarschaft. Solch herzliche Begrüßungen und Small Talk quer über die Straße ist ganz normaler Alltag bei mir. Ich erinnere mich, als es vor ein paar Jahren wirklich stark geschneit hat. Ich musste in die Arbeit, in Uniform machte ich das Tor auf um mit dem Auto rauszufahren und ein halber Meter Schnee hat sich durch den Wind vorm Tor gesammelt. Tapfer in Stöckelschuhen suchte ich die Schneeschaufel, doch bevor ich anfing, kamen meine lieben Nachbarn die schon mit Schnee räumen beschäftigt waren, tatkräftig zur Unterstützung. „Setz di ins Auto, wir mochn des scho für di“. Ich bin wirklich gesegnet. So aber zurück zu meiner Frage, also ich sitze hier mit schlechtem Gewissen, weil alle um mich herum, in den letzten Tagen einen äußerst stark ausgeprägten „Putzfimmel“ entwickelt haben und ich nicht. Fühlt sich an wie Gruppenzwang. Gruppenzwang in der Isolation, gibt’s das überhaupt? „Dank“ Corona schon. Diesen Gruppenzwang gibt es bestimmt, denn kaum hat einer zum Grillen angefangen, dachten die anderen in ihrem Garten „mah, des riecht so gut, so geht des ned wir müssen jetzt auch grillen“. Das Problem ist ja, ich hab schon vor Wochen ausgemistet, Post sortiert und geputzt wird sowieso immer. Es ist bereits alles sauber. Hätte ich es gewusst hätte ich meine „Ausmistaktion“ natürlich verschoben.
So und jetzt sitz ich hier und mein innerer Dialog beginnt.
Meine innere Stimme: „Ok, du wolltest doch nach dem Kleiderkasten, diese unzähligen Schuhe mal ausmisten.“
Ich: „Hab ich doch schon“
Inneres Ich: „Und was ist mit der Speis?“
Ich: „Auch schon erledigt“
Wieder die Stimme: „Oh, ich habs, was ist mit der Arbeitnehmerveranlagung, die könntest machen“
Plötzlich erwische ich mich dabei wie ich laut auspreche: „Na gut, also soo groß ist mein Tatendrang ja nun auch wieder nicht, dass hebe ich mir für nächste Woche auf, vielleicht!“
Und schon ist mein Gewissen wieder beruhigt und ich setze mich gemütlich hin um zu lesen. Wie ist es bei euch?
© Ingy Gaber 2020-03-22