Ungeduldig tippeln die Menschen von einem Fuß auf den anderen, während der Platz an der Haltestelle immer voller wird. Wo normalerweise im Minutentakt die Bim kommt, zeigt die Anzeige lediglich die Zahl 13. Für jene, die sich nicht auskennen: Wir nennen in Wien die Straßenbahnen Bim, weil sie, wenn sie auf sich aufmerksam machen wollen, ein bimmelndes Geräusch von sich geben. Das gehört zu dieser Stadt wie der Stephansdom und das Riesenrad.
Da mir 13 Minuten zu lange sind, um in der Menge stehend auf eine Straßenbahn zu warten, gehe ich bis zur nächsten Haltestelle. Das verkürzt das Warten und ich mache gleichzeitig etwas Selfcare. Dort stehen zwar auch einige Menschen, aber nicht so viele. Nach kurzer Zeit kommt auch schon die Straßenbahn. Und das, was ich bisher erfolgreich verdrängt habe, ist nun eine logische Schlussfolgerung, der ich mich nicht mehr entziehen kann. Denn natürlich befinden sich jetzt jene, die zuvor so zahlreich an der Haltestelle gewartet haben, in dieser Straßenbahn. Dazu kommen noch diese hier. Und ich.
Eine Frau mit Kinderwagen versucht es erst gar nicht und bleibt geduldig draußen stehen. Sie hätte keine Chance, zumal es sich hier um eine alte Bim handelt, bei der man über ein paar Stufen in den Wagon gelangt. Ich überlege, ob die ganze Strecke zu Fuß gehen soll, entscheide mich aber doch, es zu versuchen. Es wird nicht lange dauern, sage ich mir. Weit komme ich aber nicht. Gleich nach den Stiegen, dort, wo der Knopf für den Haltewunsch ist, bleibe ich stehen und suche mir etwas zum Anhalten. Man möchte ja bei Vollbremsung nicht auf die danebenstehende Person fallen.
Nach mir drängen sich immer noch Menschen hinein, einige bleiben auf der Treppe stehen. Ich spüre, wie sich ein flaues Gefühl im Magen breitmacht und bekomme kaum Luft, obwohl die Tür vor mir noch immer geöffnet ist. Es wird nicht lange dauern, sage ich mir erneut.
„Bitte den Eingangsbereich freihalten“, mahnt der Chauffeur aus dem Lautsprecher. Doch niemand fühlt sich angesprochen. Rechts von mir steht ein Mann, der mindestens zwei Köpfe größer ist als ich. Sein dunkelblauer Mantel hat goldene Knöpfe, die mir vermutlich in Erinnerung bleiben werden. Links eine korpulente Dame, vor mir eine größere Frau, deren Anorak ich gut analysieren kann. Ob sie ein Sandwich mit Soße gegessen hat, die ihr auf die Jacke geronnen ist? Oder ist es doch das Fett einer Pizza to go? Ist aber bestimmt schon eine Weile her. Nach dem letzten Winter hatte sie sie bestimmt nicht gewaschen. Um das feststellen zu können, braucht man keinen feinen Geruchssinn.
Nach einer gefühlten Ewigkeit und ein paar unterdrückten Brechreizen fährt die Bim los bis zur nächsten Station. Niemand steigt aus. Aber die dort Wartenden versuchen trotzdem, irgendwie einen Platz zu finden. Auch hier überlege ich, ob ich einfach aussteigen und zu Fuß gehen soll.
Ich schließe die Augen und warte, bis sich die Bahn wieder bewegt. Und endlich! Ich bin am Ziel und steige aus…
© Anna-Katharina Plach 2024-11-01