von Katharina L
Ich komme vom Land. Von einem Ort, wo man ein Samenkorn in die Erde steckt, einen Sommer lang wartet und dann eine Rübe aus der Erde ziehen kann. Oder man findet nur ein Loch im Boden und weiß, da unten ist eine Wühlmaus, der es gut geht.
Das Land ist ein Ort, den ich forme, aber nicht ich allein, sondern viele andere Lebewesen mit mir. Ich muss mich mit ihnen abstimmen oder mit ihnen abfinden – je nach Stimmung. Wenn nach dem Anbau von fünf Reihen Kartoffeln, ein Kilo für mich zum Essen bleibt und die leeren Tunnel der Wühlmäuse kerzengerade durch die offenen Reihen ziehen, könnte ich meine Hände vor Ohnmacht in den Schoß sinken lassen. Oder ich erinnere mich an meinen Vorsatz, hier den Boden mit dem Anbau der Kartoffeln verbessern zu wollen. Im Frühling war der Boden wie gestampfter Lehm in einem alten Bauernhaus, jetzt liegt krümeliger, luftiger Humus vor mir. Ein Wunder! Die Zutaten: Abgelegener Pferdemist, Kartoffeln, etwas Senfsaat und Wühlmäuse. Als Nachsaat folgen Vogerlsalat, Spinat und noch einmal Gelbsenf (der kommt von selbst und friert später ab zu einer weichen Decke gegen die Kälte des Winters).
Nächstes Jahr werde ich mich trotzdem wieder über die Wühlmäuse ärgern, wenn sie das halbe Wurzelgemüse weg fressen, die Stangenbohnen ausdünnen, sogar Erdbeerpflanzen und Erdbeeren fressen.
Der Selbstversorgergarten ist ein Selbsterfahrungsgarten. Vielleicht ist deshalb die Sehnsucht danach so groß. Oder wer denkt nicht manchmal ans Aussteigen, in der überfüllten U-Bahn, im Büro, während draußen der Frühling beginnt, vor den Regalen im Supermarkt, unfähig zur Entscheidung, weil man sich vor dem leeren Geschmack des Überflusses ekelt? Aussteigen ist ein verlockendes Szenario, doch, Achtung, eigentlich ist es eine Fata Morgana, nach der man strebt. Ein paradiesisches Gebilde aus wucherndem Grün, reifen Früchten und äsenden Tieren, das in dem Moment des Erreichens zum Staub der Wüste zerfällt.
Nur mit dem gekrümmten Rücken des zum Ackerbauern gewordenen Urmenschen, mit an Fanatismus grenzender Ausdauer, mit der Bereitschaft neben dem Lebendigen auch dem Tod Raum zu geben, gelingt es, den Staub zu verwandeln. Wie unglaublich ist es aber dann, wenn wirklich das Paradies entsteht: Je länger man sich dem Kreislauf der Jahreszeiten fügt, umso leichter wird alles, beinahe wie von selbst, als würde das System auf einmal verstehen, dass auch der Mensch Teil der Natur ist. Tatsächlich ist es so, dass der Mensch beginnt zu verstehen, dass er Teil der Natur ist, wenn seine Hände voll Erde sind, sein Mund den Geschmack von sonnengereiften Früchten erfahren darf, wenn seine Muskeln von körperlicher Arbeit schmerzen. Die eigene Energie, die die Natur formte, wird zur Energie, die einen selbst formt.
© Katharina L 2021-11-15