Eine Frage der Perspektive

Louis Eikemper

von Louis Eikemper

Story
Venus

Als ich mit einer Vertrauten zur Abendstunde Soulfood genoss, war es fĂĽr mich wohl in neun von zehn Parallelwelten vorhersehbar gewesen, dass das Thema aufkam, welches meine Seele schon immer mit Fokus fĂĽllte: die Kunst! Kreativ sein war fĂĽr mich notwendig, um Zufriedenheit empfinden zu können. Nicht nur, weil in meiner Genetik väterlicher und mĂĽtterlicherseits die phänotypische Veranlagung eines Musikers, Malers, Schriftstellers oder Kabarettisten gepolt lag – sondern auch, weil ich mir mein Leben schon immer mit der Extreme teilte. Wenn ich etwas von Bedeutung erkannte, wollte ich mich darin begrĂĽnden. In der Kunst war ich damit stets willkommen. Sie brauchte unser einzigartiges Naturell, um das geben zu können, was sie so bedeutsam machte: die bunte Vielfalt, die unsere Existenz zu Leben werden lieĂź! Als ich meiner Vertrauten all dies mit funkelndem Blick erklärte, musterte sie mich aufmerksam, grinste und erinnerte an meine Vorwarnung, dass ich gerne ausuferte, wenn es um Herzensthemen ging. Sie meinte, dass meine leuchtenden Augen mich wie ein munteres Einhorn erscheinen lieĂźen, welches sich an einer saftig grĂĽnen Weide satt gegessen hatte – ehe sie hinzufĂĽgte, dass Kunst bloĂź eine Frage der Perspektive wäre. Einen Moment teilte ich ihr Grinsen, bevor es mich eine Weile in Gedanken rief – so tief, dass sie viermal mit den Fingern schnipsen musste, um mich in den Moment zurĂĽckkehren zu lassen. »Alles okay? Das war nicht böse gemeint, Lou«, stieĂź sie unsicher hervor. Ăśberwältigt von der Tiefe, aus der mein Wesen gerade wieder gekommen war, unterdrĂĽckte ich Unbesonnenheit, sammelte mich und entgegnete: »Gewiss ist Kunst auch Frage von der Wissenschaft hinter der menschlichen Perspektive, wenn man ihre Bedeutung so rational betrachten will. Die Frage von Perspektive in der Kunst beantwortet sich darin, dass der Effekt von der Kombination verwandter Elemente, wie benachbarten Farben oder einander ähnlichen geometrischen Formen, im Gesetz menschlicher Optik harmonieren. Man versteht darin die Methode, dreidimensionale Objekte und Räume auf einer zweidimensionalen Fläche zu veranschaulichen, um Tiefe und RaumgefĂĽhl zu erzeugen und die Verhältnisse zwischen den Objekten proportional korrekt abzubilden. Wichtiger als die Frage nach der menschlichen Perspektive in der Kunst, die sich demzufolge ja berechnen lässt, ist jedoch die Frage nach unserem Ausdruck. FĂĽr mich ist Kunst viel mehr die Bereitschaft, sich auf seinem Weg kreativ zu verwirken und stets auf die nächste Ebene zu gelangen. Kunst ist Grundlage allen Ausdrucks, den wir im Lauf der Zeit so kultivieren konnten, oder nicht?« Noch bevor sie auf diese rein rhetorisch gestellte Frage antworten konnte, fuhr ich fort. »Das gilt fĂĽr jeden Menschen, da bin ich fast sicher! Noch bevor wir sprechen, drĂĽcken wir Gesang aus. Noch bevor wir im Gleichgewicht stehen und laufen können, sind wir am Tanzen. Ja und bevor wir aneinander gereihte Buchstaben als Worte in Sätzen schreiben, sind wir am Malen! Als Grundlage menschlichen Ausdrucks ist sie eine von der Natur verliehene Gabe – die seit Tag Eins aus uns heraus scheint, um von uns erkannt und in eigener Art kultiviert zu werden. Wer also in seinem wahren Selbst verstanden werden will, findet in ihr die Essenz.« Es herrschte Stille, ehe sie sich auf mich setzte, mir recht gab und schlieĂźlich die Kunst zu schweigen sowie ihre innige Idee von tief begrĂĽndeter Liebe bewusst werden lieĂź.

© Louis Eikemper 2024-07-31

Genres
Spiritualität
Stimmung
Emotional, Komisch, Inspirierend, Reflektierend
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