von Sandra Mall
Meine bebenden Finger fischten sich das erste Blatt vom Stapel. Und tatsächlich, unten bei dem Punkt besondere Wünsche und Anmerkungen des kürzlich Verstorbenen, stand geschrieben: „Versetzung in den Himmel. Grund: Saubere Laufbahn.“
Eine saubere Laufbahn also, ahja. Wenn Gabriel Castro Rodriguez nicht mindestens so viel Dreck am Stecken hatte wie ein Pflanzstab für Tomaten, dann fraß ich einen Besen.
»Wenn das so ist …«, rang ich mich durch, »… dann werde ich natürlich eine Reklamation an die obersten Behörden schicken.«
Ich verschwieg, dass der ehrenwerte Senor mir auch schon bei seiner Ankunft hätte mitteilen können, dass ihm etwas nicht passte. Stattdessen hatte er geheimnisvoll getan, geflirtet und mich mit Absicht durcheinandergebracht. War das sein Ziel gewesen? Aber über diesen kleinen Fehler meinerseits würde ich hinwegsehen. Es gab kein Problem, das sich nicht mit einem formellen Antrag – oder zwei – aus der Welt schaffen ließ. Genau so würde ich die Sache lösen. Wie immer strukturiert und bürokratisch. Ein Zaubereibeamter würde die magische Markierung in meinem Büro begutachten. Wahrscheinlich würde man eine neue installieren. Genauso, wie jemand von der Behörde den Todesbann erneuern würde. Es konnte ja durchaus Fehlfunktionen geben. Wer mir hier allerdings durch alles einen Strich machen wollte, war der Tote in diesem Raum. Er schüttelte demonstrativ den Kopf. »Das wäre wohl das mindeste, Senora Westphal-Schröder.«
»Frau Westphal-Schröder«, korrigierte ich. Auch wenn er einen spanischen Namen hatte, wir waren hier schließlich in Deutschland. Er hätte von mir aus auch in seinem Heimatland sterben können. Die spanische Hölle war den Gerüchten zufolge nicht unbedingt das Schlaraffenland. Wider Erwarten sagte er dann etwas, das mich fast vom Stuhl fegte. »Ich hätte einen Vorschlag, durch den ich den Fehler im System vergessen würde.«
Einen Vorschlag? Ich war noch nicht einmal schuld, sollte mit der Markierung oder dem Bann tatsächlich etwas nicht stimmen. All das wurde jährlich gewartet, musste ich da tatsächlich die Verantwortung auf mich nehmen? Die Antwort war: Ja! Mein Chef würde nicht den geringsten Mangel auf sich sitzen lassen, das war schon immer so gewesen. Er würde wollen, dass ich ausbadete, was ein anderer verbockt hatte.
»Was schlagen Sie vor, Senor Rodriguez?«, bestätigte Herr Ackermann, wie ich erwartet hatte. Gabriel Castro Rodriguez grinste. »Ich möchte ein privates Treffen mit Frau Westphal-Schröder.«
»Was!?«, riefen Herr Ackermann und ich zeitgleich. Gabriel Castro Rodriguez ließ uns allerdings nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Er erhob sich von seinem Platz und nickte uns zu. »Ganz recht. Wir treffen uns einmal. Unter den Sterblichen. Dann werde ich die Sache nicht nach oben geben.«
Er war schon aus der Tür, als seine Worte erst richtig bei mir ankamen. Dann aber war ich mir sicher, ja. Ich wurde von einem toten Straftäter erpresst.
© Sandra Mall 2022-08-15