Eine heiße Geschichte

Manfred Voita

von Manfred Voita

Story

Meine Töchter, unsere Töchter, sind inzwischen erwachsen, aber einiges vergisst man nicht, besonders dann nicht, wenn man es aufgeschrieben hat. Damals entstand auch der folgende Text.

Amena, wie sie sich selbst nennt, ist nun schon eineinhalb Jahre alt und will die Aufnahme der täglichen Mittagsmahlzeit in die eigenen Hände nehmen. Manchmal ist das wörtlich zu verstehen, sie greift sich dann einfach etwas vom Teller, meist aber im übertragenen Sinne: Sie bedient sich eines kleinen Löffels oder einer Kuchengabel.

Die Vorbereitungen für eine solche Mahlzeit sind die gleichen, wie zu der Zeit, als sie sich noch von uns füttern ließ. Gehen wir es einmal am Beispiel eines frisch zubereiteten Gerichts durch. Während ich noch koche, steht Amena ständig neben mir und fordert mich zum Spielen auf. Erkläre ich ihr, dass ich gerade das Mittagessen zubereite, macht sie Druck: „Amena Hunger, Amena essen.“ Wenn ich beide Hände voll zu tun habe, kommt auch ganz sicher von ihr: „Amena Arm nehmen.“

Wenn trotz solcher kleinerer Hindernisse das Essen schließlich gar ist, beginnen die alltäglichen Vorbereitungen: Amenas Hochstuhl an den Tisch rücken, ihr Lätzchen holen und umbinden, Ein Platzdeckchen auf den Tisch legen und – am allerwichtigsten – das Essen zerkleinern und auf die richtige Temperatur bringen.

Das Zerdrücken und Zerschneiden ist schnell erledigt, doch aus der kochend heißen Masse ein kindgerechtes Mittagsmahl zu produzieren ist ein Kunststück für sich. Erst fülle ich einen Teller für Amena, dann rühre und quirle ich auf dem Teller herum, bis es einigermaßen widerlich aussieht, damit stimmt die Konsistenz der Mahlzeit zumindest, aber noch immer kann ich mir spielend leicht den Mund daran verbrennen. Also fülle ich vom ersten in den zweiten Teller um. Die gesamte Portion wird sorgfältig über den ganzen Teller verteilt, unterdessen natürlich fortwährend gepustet, bis ich bunte Bälle vor schwarzem Hintergrund tanzen sehe. Noch einmal kosten… nein, wir füllen doch lieber noch einmal um, wieder auf den ersten Teller zurück und… ja, nun stimmt die Temperatur, Amena kann essen.

Wende ich mich nun meiner Portion zu, stellt sich regelmäßig die Frage, wozu der ganze Aufwand überhaupt gut war, denn mein Essen ist ganz von allein kalt geworden…

© Manfred Voita 2020-06-02

Hashtags