Eine kleine Wolke

LucieBach

von LucieBach

Story

Ich klopfe gegen die Wand. Carlos hat unser Schlafzimmer vor Jakobs Geburt verlassen, denn sein Schlaf tolerierte mein schwangeres Atmen nicht. Längst hat Jakob seinen Platz eingenommen und schläft in seiner Piratenbettwäsche neben mir. Carlos reißt die Schlafzimmertür auf.

„Ich müsste längst schlafen.“

„Dein Sohn kommt.“

„Das geht nicht, du weißt doch, was morgen bei mir los ist.“

„Dann verschieben wir die Geburt auf morgen Nachmittag, passt das?“

„Ja“, antwortet Carlos und schließt sanft die Tür

Als ich eine erste lächerliche Wehe verspüre, öffne ich Carlos Tür.

„Wir müssen los.“

„Ich dachte, du kannst es noch ein bisschen hinauszögern.“

„Meine Fruchtblase ist geplatzt, ich kann das nicht aufhalten. Niemand kann das.“

„Lass mich wenigstens noch die Unterlagen für morgen sortieren.“

Ich veratme eine Wehe, dann wecke ich Jakob.

„Dein Bruder kommt gleich.“ Er ist sofort wach und zittert vor Aufregung.

„Soll ich dir helfen, ihn rauszuziehen? Warte, ich hole mein Seil.“

„Nein, wir fahren ins Krankenhaus. Bestimmt schafft es dein Bruder ohne Seil heraus.“

„Papa, der andere Junge krabbelt gleich aus Mama.“ Carlos sortiert Unterlagen.

„Wir warten im Auto, bitte beeil dich!“ Fünf Minuten später gebe ich Vollgas.

„Papa kommt nach.“

Meine Gebärmutter zieht mich in sich hinein. Ich kann lediglich geradeaus oder eher gar nicht fahren.

„Ich glaube, ich schaffe es nicht mehr ins Krankenhaus.“

„Ich kann uns doch fahren. Nämlich Mama, weißt du, ich kann sogar Feuerwehre fahren.“

„Du bist bloĂź bei einem Feuerwehrmann auf dem SchoĂź …“ Weiter kann ich nicht sprechen, ich ist nicht mehr da.

„Wollen sie ihn schwersttraumatisieren?“ Ich löse Jacob von mir ab und werde in einen Kreissaal gedrängt. Seine Schreie höre ich nur noch aus der Ferne.

Die Hebamme reicht mir eine verknautschte Kugel.

„Wo ist mein Sohn?“ frage ich.

„Auf Ihrem Bauch.“ Offensichtlich stempelt sie mich als postpartal unzurechnungsfähig ab. Der Kleine kriecht zu meiner Brust, ich streiche über seinen Kopf, doch meine Gedanken sind bei Jakob. Wenig später wird die Tür aufgerissen. Auf Jacobs Wange prangt ein Duplostein-Abdruck.

„Ihr Junge schlief im Wartezimmer auf der Spielzeugkiste.“

„Gar nicht habe ich geschlafen, ich hab meinen Kopf auf die Kiste gelegt, damit ich besser reingucken kann.“

„Darf ich vorstellen, das ist dein Bruder Jonathan.“ Ich halte ihm den nackten Wurm entgegen.

„Was hat er mir mitgebracht?“

„Was soll er dir mitgebracht haben?“

„Eine kleine Wolke, ist doch ganz klar. Er hat früher neben Gott auf einer kleinen Wolke gesessen hat. Die sollte er mir mitbringen.“

„Jonathan wusste nicht, dass er dir eine Wolke mitbringen soll.“ Jakob spielt mit den Fingern seines kleinen Bruders.

„Die sind zu schlapp, mit denen kann er nicht spielen“, konstatiert er.

„Die werden bald stärker.“

„Nee, Mama, wenn der nicht spielen kann, musst du ihn wieder reinschieben. Dann nehm ich lieber ein Mädchen.“

„Ach Jakob.“

„Ach Mama.“ Jakob seufzt und nimmt meine Hand.

© LucieBach 2022-11-24

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