EINE MUTTER

PETER MANDL

von PETER MANDL

Story

Man hat nur EINE Mutter, sagte meine Kollegin, wenn ich unschlüssig war, übers Wochenende in die Wiener Heimat zu fahren. Mutti hatte es nie leicht. Auf eine graue oberschlesische Kindheit folgten Nazi- Ausbeutung als Arbeitsdienstmädel bei “Herrschaften” in Berlin und Ostsee- Junker- Gesindel.

Als sie 1941 mitten im Krieg meinem Vater nach Wien folgte, wurde sie in unserer proletarischen Umgebung aus Hass auf die deutschen Okkupanten wegen ihres “Piefke”- Akzents beim Greißler oft nicht bedient und kam weinend heim. Das legte sich bald, als sie Ogrosln, Zwirnknäulerl und Scheiss mi au unfallfrei auszusprechen lernte.

Wenn sie einmal von ihrem kriegsbedingt rationierten Stück Schokolade selbst abbeissen wollte, brüllte ich: Mutti, iß dem kleinen Peter nicht alles weg! Als wir 1945 vor den US-Bomben evakuiert wurden, ließ die Zillertaler Gastwirtsfamilie meinen 7 Monate alten Bruder verhungern. Dass das Leben mit meinem Vater ebenfalls die Hölle war, soll nur nebenbei erwähnt werden.

Beim jährlichen Ball der Roten Herzen der SPÖ Simmering und überhaupt öffentlich wurden meine jungen Eltern allerdings als Traumpaar wahrgenommen. Wenn sie im Arbeiter-Gesangsverein glockenhell “Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt” tirilierte, zeigte ich ihr aus der ersten Reihe eine Zitrone, was den Vortrag lustig beeinflußte.

1960 kam die von uns beiden ersehnte Scheidung. Mutti drehte trotzdem das Gas auf, ich kam in Vorahnung früher aus dem Jazzklub, es war noch nichts passiert. Die Alimente waren lächerlich, sie lebte von Gelegenheitsarbeit und meinem allzu spärlichen Haushaltsgeld, eine harte Zeit. Doch im Sinne von Bertolt Brechts “unwürdiger Greisin” begann sie aufzublühen, gönnte sich mit ihren Freundinnen öfters ein Häferl Kaffee, ein Seiterl Bier.

1971 verließ ich sie karrierehalber in Richtung gewinnsüchtiges, schmähgebremstes Salzburg, aber nicht nur, dass ich mindestens jedes zweite Wochenende auf Heimatbesuch kam, machten wir auch zusammen zahlreiche Reisen. Mehrmals viele Wochen Cuba, England, Zypern, sämtliche Kanaren außer El Hierro. In ihr geliebtes Teneriffa schickte ich- inzwischen pekuniär recht flüssig- sie mehrmals für einige Monate auf “Langzeit“, ebenso auf mehrere Kuren nach Franzensbad.

Spätherbsttag 1996.Ich lande aus Nicaragua in Wien und finde einen Zettel: Mutti liegt mit einem leichten Schlaganfall im Spital. Der war dann nicht so leicht, sie wurde allerdings im Reha-Zentrum Großgmain großartig rehabilitiert und war fast wieder die alte Schmähführerin, als sie den Erfinder des Schlaganfalls „in die Goschn haun“ wollte.

Der zweite Schlag kam ein Jahr darauf, die Behandlung in der Reha-Klinik Bad Radkersburg war aber äußerst fahrlässig. Folge: Rollwagerl! In gutem Glauben überredete ich sie zu einer zwar schönen, aber langweiligen Seniorenresidenz in meiner Nähe, wo das Großstadtkind anno 2000 an gebrochenem Herzen starb.

Einen alten Baum verpflanzt man nicht!

© PETER MANDL 2021-05-05