Es war lange vor meiner Geburt, als der Fenriswolf die Sonne verschlang und die neun Welten in ewige Dunkelheit stürzte. Ragnarök, die prophezeite Götterdämmerung, brachte Tod und Leid über die Lebewesen des Universums. Nur wenige Asen überlebten und konnten einige Menschen, Zwerge und Riesen vor dem Untergang bewahren. Die permanente Finsternis machte den neuen Bewohnern Asgards allerdings sehr zu schaffen. Durch die geeinten Technologien der Götter und der Sterblichen eröffneten sich jedoch gänzlich neue Möglichkeiten. Die besten Schmiede und Ingenieure aus allen neun Welten kamen zusammen, um einen gewaltigen Aufbruch einzuläuten, den Aufbruch in eine neue Zeit.
An einem Tag wie jedem anderen erwachte ich in meiner bescheidenen Behausung am Fuße des Berges Hlidskjaell. Die prächtigen Wassergärten der hohen Herrin Svala waren wie immer ein willkommener Anblick am frühen Morgen. Nach einem herzhaften Frühstück fand ich meinen Weg ins Zwergendistrikt, wo die eifrigen Halblinge bereits ihre Schmiedehämmer schwangen.
Eine Zwergin namens Freydis hatte das Unternehmen geleitet. Sie war eine begnadete Ingenieurin und hatte davor bereits mehrere große Projekte betreut gehabt. Doch keines davon konnte auch nur ansatzweise mit diesem epochalen Vorhaben verglichen werden. Mehr als dreihundert Zwerge, Menschen und Riesen waren an dem Unternehmen beteiligt gewesen. Ich für meinen Teil, war mit einer durchaus simplen Aufgabe betraut worden. Da keiner der heute Lebenden jemals einen Sonnenaufgang gesehen hatte, war mir die Angelegenheit zuteil geworden, in den alten Aufzeichnungen und Manuskripten nachzuforschen, um einen ersten Entwurf für die Ingenieure zu liefern. Es hatte mehrere Monate gedauert, bis das finale Konzept von der Leiterin Freydis endlich abgesegnet worden war. Die Schmieden waren seitdem Tag und Nacht in Betrieb geblieben und die kompetentesten Handwerker Asgards hatten rund um die Uhr an dem phänomenalen Konstrukt gearbeitet.
Als an jenem Tag die letzten Arbeiten schließlich vollendet wurden, machten sich alle Einwohner Asgards auf zum großen Astrolaboratorium. Von hier aus sollte das Meisterwerk dem Firmament übergeben werden. Ich war so nervös wie noch nie zuvor in meinem Leben. Würde es tatsächlich funktionieren?
Meine Nervosität schlug schnell in Begeisterung um, als die gigantische Kugel vom höchsten Turm des Laboratoriums in die Luft gehievt und gemächlich in den Himmel gezogen wurde. Die beiden Riesen Vebrand und Eyvind zogen an den Seilen, an welchen der Orbit befestigt war und beförderten den gigantischen Himmelskörper zurück an seinen alten Platz.
Der Anblick war atemberaubend. Die Einwohner Asgards konnten ihren Augen nicht trauen und auch ich war überwältigt von dem unfassbaren Schauspiel, welches sich direkt vor meinem Antlitz ereignete. Eine neue Zeit war angebrochen und zum ersten Mal seit einhundert Jahren ging am Horizont die Sonne wieder auf.
© Sebastian Krammer 2022-06-05