von Lorenz Graf
Meine Eltern hatten es geschafft. Wir konnten Weihnachten im neuen Haus feiern. Das Haus hat drei Räume, eine Stube, eine Küche und einen Stall für eine Kuh und für Hühner und Gänse. Für weitere Räume waren zwar Plätze vorbereitet, doch für die Errichtung fehlte noch das Geld.
Das Haus wurde aus selbst gefertigten, ungebrannten Lehmziegeln erbaut, aus Ziegeln, die wir selbst mithilfe von Verwandten und Nachbarn hergestellt haben. Sogar die Dachziegel haben wir Stück für Stück selber gemacht. Im Haus gab es weder Fließwasser noch elektrischen Strom. Wasser gab es vom Brunnen draußen im Hof und eine Art WC war hinten im Garten. Dennoch war es Luxus, so wenige Jahre nach dem schrecklichen Krieg. Es waren viele russische Soldaten da, dafür fehlte es an Vielem, auch an Lebensmitteln und Kleidung.
Es sind die ersten Weihnachten, an die ich mich gut erinnern kann. Die Wochen davor waren dunkel, es gab ja noch kein elektrisches Licht, nur Petroleumlampen und Kerzen. Elektrischen Strom bekamen wir erst Jahre später, da hatte ich die ersten Jahre der Volksschule schon hinter mir.
Jetzt stand Weihnachten vor der Tür. Als ältester durfte ich mithelfen einen Christbaum zu schmücken. Die Mutter hat am Holzofen Kristallzucker geschmolzen und die erkaltete braune und harte Masse mit einem Hammer in kleine Stücke zerschlagen. Auch einen Teil von der Tafel der Kochschokolade hat sie mit dem Messer in kleine Stücke gehackt und aus süßem Eierschaum hat sie Ringe gebacken. Der Vater hat Zündholzstücke in Nüssen befestigt und daran einen Zwirnfaden geknüpft. So konnten wir sie am Christbaum aufhängen. Der Christbaum, den mein Vater auftreiben konnte, war ein Fichtenstämmchen mit einigen Ästen. Aber er hatte auch große Zweige bekommen, die er mit Mühe durch gebohrte Löcher am Stamm befestigen konnte. Jetzt sah die kleine Fichte einem Bäumchen viel ähnlicher. Die Mutter hat dünnes Papier in kleine Stücke zerteilt und auf zwei Seiten dünne Streifen (Fransen) hineingeschnitten. Die gebrannten Zuckerbrocken und die Schokoladenstückchen wurde einzeln darin eingewickelt und am Christbaum aufgehängt und ebenso die Eischnee-Ringerl. Auch wenige Kerzchen trugen seine Zweige.
Ich fand den Baum wunderschön und reich geschmückt. Als Geschenk gab es dann am Heiligen Abend selbst gestrickte Socken und von der Oma einen Apfel, in dem eine Ein-Schilling-Münze steckte. Ein kleines Vermögen für ein Kind.
Tage darauf kam die “Wienertante“ aus der Hauptstadt auf Besuch. Uns Kindern brachte sie auch ein Geschenk mit, eine Orange, eine einzige für drei Kinder. Gut, mein Bruder war eh noch zu klein. Die Orange duftete, war exotisch und…….sauer. Aber es war die erste Orange, die ich sah und die ich aß. Sie hat sich unvergesslich in meinem Gedächtnis eingeprägt.
Damals habe ich Weihnachten wunderschön erlebt und das Fest war noch nicht von Konsummüll erdrückt.
© Lorenz Graf 2020-12-24