von Brigitte Böck
Singen war immer meine Leidenschaft, das habe ich später im Kindergarten eingesetzt und es mit Gitarre oder Akkordeon begleitet. Ich spürte, dass ich zu sehr aus dem Hals singe und viel zu wenig aus dem Bauch. Das wollte ich ändern und so meldete ich mich zu einem 5 tägigem Workshop bei einer Wiener Gesangslehrerin an, die einige Wochen in Berlin unterrichtete. Lena war wunderbar einfühlsam, es zeigte sich bei Atemübungen, dass ich meine Stimme nach dem Tod meiner Mutter drosselte und auf meinen Hals reduzierte. Ein langer Tränenstrom löste diese Blockade schließlich auf.
Wir besprachen, dass ich 10 Tage zu ihr nach Wien fahre und wir weiter daran arbeiten wollten. Lena besorgte mir ein Zimmer in eine Frauen WG, sie gab mir täglich Unterricht und ich behandelte sie im Gegenzug nach einer langen Anamnese homöopathisch. So war es für mich finanziell möglich und ich kam mit meiner Stimme gut voran. Ich hatte in Wien eine wunderbare Zeit, das Haus, in dem ich wohnte, lag direkt am Prater, man lieh mir ein Fahrrad, ich war viel unterwegs und erkundete diese zauberhafte Stadt. Da war es wieder, dieses beglückende Gefühl von Freiheit und dem tiefen Wissen, ich tue etwas ganz allein für mich.
So bummelte ich bei herrlichem Sonnenschein durch die Stadt und blieb vor einem alten Buchladen stehen. Es ging einige Stufen hinunter, ich fühlte mich magisch angezogen. Unsicher trat ich ein, ich wollte ein ganz bestimmtes Buch kaufen und dachte, dass ich es hier finde. Es war eine sehr alte und etwas dunkle Buchhandlung, ich war die einzige Kundin. Ich ließ mir Zeit, wollte nicht fragen, ging durch viele Gänge, nahm manch ein Buch in die Hand und stellte es zurück. Ich suchte die Autobiografie von Elisabeth Kübler Ross, fand sie aber nicht. Hinter einem Schreibtisch saß ein sehr alter Buchhändler, der mich die ganze Zeit beobachtete. Das war mir unangenehm und ich schlenderte langsam zum Ausgang und wollte gehen. Der alte Mann stand auf, kam zu mir und sagte freundlich: “Bitte warten Sie einen Moment!“ Unschlüssig blieb ich stehen, er holte ein Buch , zeigte es mir und fragte lächelnd: “ist es das Buch, dass Sie suchen?” Ich konnte nichts sagen, war fassungslos, es war diese Autobiografie. Ich stotterte irgendwas, bezahlte und verließ den Laden. Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich mich bedankt habe. Mir war, als ob ich aus der Zeit gefallen war.
Ich ging in das nächste Kaffeehaus, bestellte etwas, weiß nicht mehr, wielange ich da saß. Ich hielt das Buch in der Hand und versuchte mühsam, mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, ich war den ganzen Tag ziemlich verstört. Nachdem ich wieder in Berlin war laß ich das Buch, dann meldete ich mich zu der 2 jährigen Ausbildung als Sterbebegleitung an und arbeitete 4 Jahre ehrenamtlich dort.
Seitdem glaube ich nicht mehr an Zufälle, es hat meinem Leben eine Richtung gegeben, die ich nie bereute. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir kleinen Menschen nicht verstehen und oft bemühe ich mich auch nicht mehr darum.
© Brigitte Böck 2021-02-12