Eine Schulgeschichte mit Katze

nemo

von nemo

Story

Da sitze ich an meinem Schreibtisch und weiß nicht, wie ich anfangen soll. Mein Kater nervt. Er schnurrt, latscht quer über die Tastatur des Computers, stupst mich mit seinem Kopf, zieht mir den Schwanz durchs Gesicht, springt vom Schreibtisch auf den Boden und gleich wieder zurück, maunzt und gibt mir deutlich zu verstehen, was ich seiner Ansicht nach tun sollte, und zwar auf der Stelle: ihn füttern.

Schreiben, ok, aber was eigentlich? Meine ehemaligen Schüler haben mich zu ihrer Weihnachtsfeier eingeladen. Es passiert nicht so oft, dass man von Schülern, die man gar nicht mehr unterrichtet, eingeladen wird. Ich empfinde es als große Ehre. Ja, natürlich will ich dafür einen Text schreiben, den ich in der Stunde vorlesen kann. So wie früher. Fast in jeder Stunde hat jemand einen selbst verfassten Text vorgelesen. Die Qualität der Texte war oft beeindruckend. Noch mehr aber hat es mich gefreut zu sehen und zu spüren, wie viel Freude die Schüler am Schreiben hatten.

Da ist er wieder, mein Kater. Mittlerweile knallt er ganz schön heftig mit seinem Kopf gegen meine Wange. Schwanz von links nach rechts, Schwanz von rechts nach links, immer mitten durch mein Gesicht. Mir stehen die Haare zu Berge, mich kitzelt’s in der Nase.

Wo war ich? Beim Schreiben übers Schreiben. Ich erinnere mich daran, wie ich im Sommer, bevor die Schule losging, über den Kurs nachgedacht hatte. Nein, ich wollte keine Schulatmosphäre, nein, ich wollte keinen lustlos absolvierten Nachmittagsunterricht. Ich wollte etwas ganz anderes. Ich wollte raus aus der Schule, wollte mich mit den Schülern auf die Suche nach Erfahrungen in Raum und Zeit begeben, wollte gemeinsam mit interessierten jungen Menschen Worte finden, um diese Erfahrungen festzuhalten und in Sprache überzuführen.

Und ja, wir gingen raus. Wir – ach, Kater, jetzt geh mir endlich aus dem Weg – wir spazierten herum, wir saßen im Dom, wir radelten durch die Gegend, wir fuhren mit dem Bus durch die Stadt. Kreuz und quer. Wir lasen Bücher, wir schauten Filme, wir hörten Musik. Und wir schrieben – darüber oder über etwas anderes. Wir lasen uns die Texte gegenseitig vor. War ich die Lehrerin? Ich weiß es nicht. Gab es auch Noten? Ja, es musste Noten geben. Relevant war das für mich nicht. Der Kurs – Kater, jetzt reicht’s ich schmeiß dich raus! – war wie ein Geschenk für mich, ein Traum von Schule, eine Idee davon, wie Schule auch sein könnte.

Aber ja, ein Traum kann platzen wie ein Luftballon, wenn das Schicksal es will. Was mir heute am meisten fehlt, ist Energie. Mein neues Leben ist anstrengend, viel anstrengender als mein früheres Leben. Es erfordert mehr Kraft, mehr Zuwendung, mehr Ruhe. Da bleibt nicht mehr viel übrig für die Beschäftigung mit neuen Ideen, für die Durchführung von Experimenten. Auch das, was man gerne macht, braucht Energie und Zeit. Wie schön, dass das, was ich begonnen habe, jemand anderer weiterführt – neu und anders. Und ich darf heute zu Gast sein.

Komm, Kater, jetzt kriegst du was zu fressen.

© nemo 2019-12-16