von Gedankenblüherei
Dietrich Bonhoeffer, ein lutherischer Theologe, hat gesagt: >>Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude<<.
Als ich ein Kind war, fuhren meine Eltern mit meiner Schwester und mir in den Sommerferien immer zu meiner Oma. Meine Mutter war für das Packen unserer Sachen und das Wohlbefinden der Passagiere während der Reise verantwortlich. Mein Vater war der Kapitän unseres Raumschiffes, das auf 4 Rädern quer durch Ober- und Niederösterreich zu Oma nach Hainburg an der Donau reiste. Vater hat sich immer über andere Fahrer geärgert, die seiner Meinung nach komplette Idioten waren. Als Kind hat man das natürlich geglaubt und akzeptiert. Später sollte sich herausstellen, dass dies nicht immer der Fall war. Nicht immer ohne Pannen, aber wir kamen immer gesund bei der Oma an. Wir Kinder haben uns immer auf eine solche Reise gefreut, zumal wir wie jeden Sommer wussten, dass unsere Eltern nach ein paar Tagen nach Hause fahren und meine Schwester und ich für ein oder zwei Wochen bei Oma bleiben würden. Vor allem aber freuten wir uns auf das Taschengeld, das wir bekamen, um brav zu sein und auf Oma zu hören. Die Wochen ohne Eltern und ein wenig Unabhängigkeit durch das zusätzliche Taschengeld brachten einerseits ein Gefühl der Freiheit und andererseits eine angenehme Vorfreude auf die neuen Spielzeuge und Süßigkeiten, die wir mit dem Geld, das wir erhielten, kaufen würden. Als das Geld nach ein paar Tagen aufgebraucht war, die Spielsachen langweilig wurden und die Süßigkeiten alle aufgegessen waren, war Oma an der Reihe. Sie hatte uns alles Mögliche beigebracht; von Religion, Geschichte bis hin zu Selbstverteidigung und Rache an gleichaltrigen Kindern. Das waren schöne Zeiten, an die ich mich gerne erinnere und die ich nicht missen möchte. Jahre später zog Oma wieder nach Bosnien. Für uns Kinder änderte sich nicht viel, außer dass wir statt 250 Kilometer 840 Kilometer transportiert wurden und unsere Eltern die ganze Zeit bei uns waren. Als junger Erwachsener besuchte ich Oma auch regelmäßig, aber das schöne Gefühl der Vorfreude auf etwas, das vielleicht gar nicht mehr existiert, änderte sich nicht. Der Weg zu Oma war immer etwas Schönes, und die Freude Oma zu sehen war einfach riesig. Ich habe mich jedes Mal auf Omas herzlichen Empfang gefreut und ich habe immer gespürt wie glücklich Oma war, dass wir sie wieder besucht haben. Oma ist seit mehreren Jahren tot, und ich reise jetzt mit meiner eigenen kleinen Familie einmal im Jahr nach Bosnien. Die Gefühle und die Vorfreude sind immer noch da, bis mir klar wird, dass ich Oma nicht sehen werde. Dann fühlt man einen Moment lang Traurigkeit, bis man merkt, dass es in Ordnung ist einen Moment lang traurig zu sein. Und dann stellt sich ein Gefühl der Dankbarkeit ein, sich an so etwas zu erinnern, oder wie Bonhoeffer zu sagen pflegte, eine stille Freude.
© Gedankenblüherei 2020-07-31