Eine wundersame Zugfahrt

Ambika Christen

von Ambika Christen

Story

Ich suche mir einen Platz im Abteil des noch leeren indischen Zuges. Zerschlissene Sitze gibt es überall, egal also, wo ich mich hinsetze. Ich freue mich auf die Fahrt, und besonders auf mein Ziel. Ein Ashram in den Bergen, umgeben nur von Natur. Ich liebe es zu reisen und Unbekanntes zu erforschen.

Plötzlich sind viele Stimmen zu hören und das Abteil füllt sich mit indischen Männern. Alle mit Hemd, Schlips und Stresskoffer. Haha, ja, Stresskoffer nennt man in Norwegen die Aktentaschen geschäftiger Herrn. Da lebe ich sonst. Doch heute reise ich durch Indien und ein Haufen indischer Männer schaut mich an, reden miteinander auf indisch. Ich bin die einzige Frau hier. Und europäisch. Und allein unterwegs. Etwas mulmig ist mir schon.

Neben mich hatte sich nun ein Inder gesetzt und unterhielt sich laut mit zwei anderen Indern, die auf der Bank gegenüber sitzen. Da wendet er sich auf englisch plötzlich an mich. Die anderen Inder werden still und schauen uns an. Er ist sehr höflich und fragt, wo ich denn hinreise. Ich erzähle, dass ich nach Haidakhan in einen Ashram will. In dem Moment ändert sich etwas in der Atmosphäre. Ich spüre plötzlich, wie eine lichtvolle Aura mich und den Inder umgibt. So sitzen wir die ganze Fahrt über und unterhalten uns angeregt über Gott und die Welt. Es fühlt sich an, als wäre er mein Bruder. Er ist ein einfacher Familienvater und Businessmann, nicht sonderlich glaubend oder spirituell. Doch als ich erzähle, dass ich im Baba Ashram gewesen war und dort Shirdi Sai Baba begnete, leuchtet er regelrecht auf.

Shirdi Sai Baba lebte im 19. Jahrhundert in der indischen Stadt Shirdi als einfacher Heiliger. Er hütete ein heiliges Feuer, sprach nicht viel, aber heilte Menschen mit der Asche seines Feuers. Im Ashram von Sai Baba, der als Reinkarnation von Shirdi Sai Baba gilt, gibt es viele Plätze mit einem Bild oder einer Statue von Shirdi Sai. Oft entzündete ich dort eine Kerze, oder eine Öllampe und immer hatte ich eine besonders liebevolle Energie und Glückseligkeit gespürt.

Zwischen mir und dem Businessmann breitet sich eine vertrauliche Harmonie aus. Die Fahrt vergeht schnell und mein Begleiter steigt aus.

Endlich in Haidakhan, kommt sofort ein älterer Herrn auf mich zu, und bietet sich mir als Fahrer an. In meiner Naivität schlage ich das Angebot aus, es erscheint zu teuer. Stattdessen fahre ich mit einem jungen Inder davon, der nur die Hälfte haben will. Das wird mir eine Lehre sein. Die ganze Fahrt lässt er nicht locker und will etwas mit mir anfangen. Das ich 55 Jahre alt war, scheint ihm nichts auszumachen. Ich schaffe es, ihn abzuwimmeln. Innerlich muss ich über das alles schmunzeln. Am Ende der Fahrt verstehe ich auch, warum der erste Fahrer so viel Geld wollte. Die Fahrt durch den Dschungel ist lang und recht gefährlich. Ich bezahle meinen jungen Fahrer, der nun natürlich doch mehr Geld will, weil er sein erhofftes Stelldichein mit mir nicht bekam. Halleluja. War ich froh endlich im Schutz des Ashrams anzukommen.

© Ambika Christen 2020-08-28