von Peggy Biczysko
Die junge Indio-Frau müht sich mit Kräften. Sie zerrt drei Ferkel an derben Stricken hinter sich her, die sich quietschend und angstvoll schreiend dagegen stemmen. Auf dem Rücken der Frau, die die typische weiße Bluse mit der bunten Stickerei über dem bodenlangen, dunklen Rock und eine vielreihige, goldene Kette um den Hals trägt, ist das Kleinkind der Indigena ebenso festgezurrt wie die Ferkel.
Samstagmorgen in Otavalo. Der Atem kommt in kleinen Wölkchen aus dem Mund. So kalt ist es noch auf über 2500 Metern. Tausende sind auf den Beinen, um sich auf dem größten Tier- und Handwerkermarkt Südamerikas mit dem Notwendigsten einzudecken. Es ist ein regelrechter Farbenrausch, in den ich hier abtauche. In den buntesten Schattierungen locken Webwaren und Textilien aus Alpaka- und Lama-Wolle, Ponchos mit prächtigen Mustern, Hängematten oder Bänder für die typischen Hüte der ecuadorianischen Bevölkerung.
“Einen Sack Meerschweinchen, bitte.” Gleich neben dem Stand mit den Küken, die in Gelb, Rot und Grau eingefärbt sind – warum auch immer! -, harren im noch nicht ganz trockenen Morast Meerschweinchen dicht an dicht in einem kleinen, abgezäunten Stall aus. Am Kragen gepackt, wird das Tierchen akribisch unter die Lupe genommen, ehe es in dem bereitgestellten Sack landet. Die nächsten vier, fünf Meerschweinchen werden ohne jegliche Sorgfalt gleich hinterher gestopft.
Wenn ich den Menschen hier erkläre, dass Meerschweinchen bei uns Haustiere sind, brechen sie in Gelächter aus. Mit Essen spielt man doch nicht! Oben zugeknotet nehmen die zwei Indio-Frauen den Sack mit den Meerschweinchen in die Mitte, um dann fröhlich plaudernd eines von den Fettgebäcken an einer Garküche zu verzehren.
In einer Dreck verschmierten, blauen Babywanne stapeln sich die Kauleisten nebst Zähnen von Schweinen, die frühmorgens zusammen mit Kartoffeln, Reis und Mais gegrillt auf dem Teller landen. Berge von graugrünen Kutteln und Magenwänden köcheln in mächtigen Bottichen. Um neun ist nach erfolgreichem Tierhandel Frühstückszeit mit riesigen Terrinen voller Schwarten, Tierfüßen, Gemüse und vielerlei Kartoffeln.
Meerschweinchen hingegen kann sich hier kaum einer leisten, auch wenn Cuy zu den Lieblingsgerichten der Indigenas zählt. Die Tiere werden in den kargen Hütten der Bauern unter Tisch und Bett großgezogen, ehe sie für rund fünf Dollar auf dem Markt feilgeboten werden. Zwei Wochen nach meinem Marktbesuch bin ich mit Marcos in Mitad del Mundo unterwegs, um den Mittelpunkt der Erde zu besuchen. Ich lade ihn ein, mit mir Cuy zu essen. Kein billiges Unterfangen: So ein Meerschweinchen vom Spieß kostet 25 Dollar. Das verdienen manche Menschen hier im Monat. Treuherzig blicken die Augen der Meerschweinchen durchs Gitter. Wenn ich es nicht esse, tut es ein anderer. Das knusprige Cuy kommt in Tranchen geschnitten zu Kartoffeln und Soße. Ich nage erst zaghaft, dann mit Genuss. Auf Reisen muss man auch neues kulinarisches Parkett betreten.
© Peggy Biczysko 2021-03-23