Einen Schritt hinterher

Gama

von Gama

Story

Jeden Tag begleitet sie mich auf dem Weg zur Schule. Zusammen lachen wir über unsere Deutschlehrerin, wie sie versucht, das Wort „Pferd“ richtig auszusprechen. Sie ist bei mir, wenn ich bei einem Test nicht mehr weiterweiß. Auf dem Weg nach Hause spielen wir Fangen – obwohl sie immer gewinnt. Zuhause albern wir lieber, als die Hausaufgaben zu machen.

Und wenn ich nachts Angst vor Schatten habe?

Dann verschlingt sie mein Kinderzimmer in tiefes Schwarz.

Als Kind hatte ich immer Angst vor Schatten. Früher hat sie mich in der Nacht in ihren Armen gehalten und mir erzählt, dass Schatten nur einsame Wanderer waren. Die sich in dunklen Ecken versteckten – und auf mich aufpassten.

Heute ist sie selbst ein Schatten.

Und manchmal frage ich mich, ob sie wirklich da ist. Ob ich sie wirklich hinter mir sehe. Denn hören tue ich sie nie. Oft frage ich mich auch, was sie gerade macht. Wie die Welt der Schatten aussieht. Ob sie schläft. Ob sie träumt. Ob sie mich genauso sieht, wie ich sie?

Früher wusste ich die Antworten auf meine Fragen nicht. Doch jetzt bin ich älter – und kenne sie.

Schatten leben nicht neben unserer Welt – sie leben in ihr. Sie sehen, was wir sehen. Fühlen, was wir fühlen. Atmen im gleichen Takt wie wir. Bewegen sich synchron mit den Menschen, die sie lieben.

Sie sind immer unter uns. Zwischen den Stimmen im Klassenzimmer. In der Stille, wenn niemand etwas sagt. Im Lachen, das zu zweit schöner klingt. Sie verschwinden nie.

Und oft glauben Menschen, dass man allein ist. Dass man die verliert, die man nicht mehr sehen kann. Aber sie merken nicht: Diese Menschen sind noch immer da. Immer als Schatten – einen Schritt hinterher.

Wir sind nicht allein. Sie gehen mit uns durch die Welt. Lachen mit uns. Weinen mit uns.
Erleben Neues – still und nah. Vielleicht sagen sie nichts mehr. Aber sie sind da.Als Schatten.

Immer einen Schritt hinter uns.




© Gama 2025-06-21

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll