Einfach mal weg sein…

Musenzeit

von Musenzeit

Story

Die Nacht wird wieder und wieder zum Tag, wenn sich meine Gedanken partout nicht zur Ruhe setzen und ihre Inneres-Kino-Parade vorführen. Einmal quer durch die Jahreszeiten, mal sonnig, mal trüb, vernebelt mit Nieselregen oder stürmisch mit Blitz und Donner. Da kann der helle Tag direkt neidisch werden!

Aber dass ein Tag zur stillen Nacht mit Schlaf wird, das zeigt sich mir selten. Die ein oder andere durchzechte Nacht in der Studenten- und Reisezeit dauerte zwar länger und die Sonne war dann bereits vom Zenitbuckel gerutscht bis ich aus dem Bett wankte, aber so etwas wie ein Mittagsschläfchen ist seit der Kindheit etwas, das anderen leichter vergönnt wird. So wie einem Ex-Freund, der in Konzerten neben mir schnarchte und kommentierte: „Klassische Konzerte sind der beste Schlaf, sagt mein Papa.“ Sein zufriedenes Grinsen dabei war beneidenswert. Ich dagegen saß kopfkino- und emotionsberauscht hellwach da und wackelte aufgewühlt mit den Zehen. Bis ich MBSR mit seinem Bodyscan entdeckte, der bei den Zehen mit der Entspannung anfängt. Damit fiel ich regelmäßig bei den Anleitungen etwa 30 Minuten lang in den besten traumlosen Schlaf, bis der Schlussgong ertönte. Das allerdings war nicht eigentliches Ziel des Kurses, aber ich praktizierte wenigstens schlafen. So hatte ich zumindest eine wirksame Einschlafhilfe für die Nacht gefunden, die ich heute noch gerne verwende.

Vor einigen Jahren machte ich eine Entdeckung, wie es ebenfalls möglich wäre, kostbaren Schlaf auch in den Tag zu locken. Der freundliche Professor, unser Besucher aus fernem Lande, interessierte sich sehr für Zahlen, die Deutschland und seine Leute betrafen. Ich mich dagegen nun eher nicht. Unmöglich, dass sich ohne zeitaufwendige Recherche beim Essen Antworten gefunden hätten auf Fragen wie “ Wann wurde das XY gebaut? Wie groß ist die Fläche des Bodensees? Wie viele Einwohner hat Frankfurt? Wann wurde X, wann Y gegründet“ etc. Sein Wortschatz war bemerkenswert, die Aussprache erforderte aber ein genaues Hinhören, was auf Dauer ermüdend an sich war. Aus Höflichkeit bemühte ich mich um kreative Antworten, die nicht einsilbig ausfielen und die Sujets der Unterhaltung auf inhaltliche Bereiche des kulturellen Lebens lenken sollten. Seine unersättliche Daten- und Zahlengier war phänomenal, unsere Gehirne schnell leer gesaugt. Auf einer mehrstündigen Zugfahrt schaffte es der gute Mann, dass ich innerhalb weniger Minuten nach dem Einsteigen mitten in seiner Fragerei, die einem sanften Singsang-Monolog glich, einschlief und erst wieder am Ziel aufwachte, als mich mein Mann weckte. Der Professor war immer noch am Reden und schaute dabei verträumt aus dem Fenster. „Was macht er da?“ raunte ich C. zu. “Ich hab ihn gefragt, was er alles über Deutschland weiß. Ab dem Moment hat er sich quasi nur mit sich selbst unterhalten.” Dass Lernen im Schlaf funktioniert kann ich leider nicht verifizieren, aber Zahlen funktionieren bestens als Einschlafhilfe. QED.

© Musenzeit 2022-11-15

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