Einfach mal zünftig das Maul zerreißen

Gossengoethe

von Gossengoethe

Story

Ich bin recht gut erzogen worden. Hie und da gäbe es Verbesserungsmöglichkeiten, aber im Grunde ist aus dem kleinen, lieben Bub von damals ein großer, recht akzeptabler Mann geworden, den man guten Gewissens auf die Gesellschaft loslassen kann. Bitte und Danke, Diskussionskultur, kleine selbstlose Gesten im Alltag, Frauen die Tür aufhalten und dergleichen, sitzt alles blind aus dem Stegreif. Ein richtiger Traumschwiegersohn bin ich, der bisweilen hie und da etwas über den Durst trinkt und dem einen oder anderen geschmacklosen Witz nicht abgeneigt ist, aber nobody’s perfect, gell. Im Grunde bin ich höflich, zuvorkommend und nett, nichts zu beanstanden.

Da gibt es nur ein winzigkleines Problem. Ich fluche wie ein Domspatz, wie ein besoffener Matrose, dem gerade der Anker auf den Zeh gefallen ist. Nicht im beruflichen oder gehoben-stilvollen privaten Kontext, natürlich nicht, auch nicht vor den Kindern, wenn es sich vermeiden lässt, Vorbildfunktion. Aber wenn ich allein oder mir sicher bin, damit niemandem auf die Zehen zu treten, dann schäumt mir das Maul wie einem tollwütigen Fuchs, wenn ich erst einmal anfange. Wenn ich nicht pro Fluchschwall mindestens zweimal Luft holen muss, um ihn vollständig auszusprechen ohne auf halbem Weg daran zu ersticken, war die Wortwahl noch nicht saftig genug. Ich arbeite daran, es einzuschränken, aber das kann dauern.

Zugegeben ist ein Großteil davon kulturhistorisch bedingt; in meiner Heimat gehöre ich zu einer deutschsprachigen Minderheit, die sich das Fluchen von den sie umgebenden Italienern abgeschaut hat. Da bezeichnet man dann schnell einmal das heruntergefallene Frühstücksbrot (übersetzt) als gottlosen Hundsfott der beschissenen Hostie und den morgens frech die Vorfahrt nehmenden anderen Autofahrer als Sau-Muttergottes eines gestohlenen Hurenkindes, ohne bewusst zu verinnerlichen, was man da überhaupt sagt, da es ja mehr ein geflügeltes Wort und kein wirklich ernst gemeinter Ausdruck in der eigenen Muttersprache ist.

Wirklich vorwerfen kann man das Fluchen selbst aber ja auch niemandem, denn die Verhaltensforschung hat gezeigt, dass zum Verbal-Ausbruch neigende Personen im Durchschnitt ehrlicher, vertrauenswürdiger und selbstbewusster sind. Trotzdem frage ich mich manchmal, was mit dieser einen schlechten Angewohnheit passiert wäre, hätte ich mein bisheriges Leben in einem rein deutschsprachigen Land verbracht? Ein saloppes Scheiße! oder Mist! oder auch einmal Verdammtnochmal! befriedigt einfach nicht dieselben Ur-Bedürfnisse wie ein aus vollem Halse gebrülltes DIOCANE!, das ist unumstrittener Fakt.

Wäre ich dann ein noch ruhigerer, ausgeglichener Mensch, der seinen Sprachdurchfall tadellos zu zähmen wüsste? Oder würde sich der, momentan im Grunde zu über 99% harmlose und schnell verpuffende, Zorn ein neues Ventil suchen? Wäre ich ein böser, schlechterer Mensch, wenn ich nicht tagein tagaus schimpfen würde wie ein Kesselflicker?

© Gossengoethe 2021-04-12