Einfach zum Nachdenken

Andreas Trimmel

von Andreas Trimmel

Story

Er ist – er war derselbe Jahrgang wie ich. Und gestern war sein BegrĂ€bnis.

Ich erfuhr‘s mitten in einer Besprechung. In einem Video-Call. Ich bin grad am Wort, als ich merke, wie eine Kollegin aschfahl im Gesicht wird und ihre Mimik erstarrt. Und mich dann unterbricht. „Entschuidigt‘s, owa i muass eich wos sog’n. Da 
 is‘ g‘storben!“.

Wummmm.

Das saß.

Über 20 Jahre lang arbeiteten wir zusammen, bevor er mehr oder weniger ĂŒber Nacht das Unternehmen verließ. Und der Kontakt erlosch.

Herzinfarkt, heißt es. Mit 48. Das gibt zu denken. Ganz viel zu denken. Darf das sein? Geht das ĂŒberhaupt? Warum? Gut, er rauchte. Und das nicht zu wenig. Und Sport war auch nicht so seins. Aber dennoch
 Ist das Grund genug?

Über 20 Jahre. Wir wurden beide in dem Unternehmen groß, wuchsen mit ihm mit, gestalteten es mit. Über einen Zeitraum von mehr als zwei Drittel seines Bestehens. Er in der IT, ich in der Mathematikabteilung. Er sorgte dafĂŒr, dass die ZahnrĂ€der ineinander griffen, dass alles wie am SchnĂŒrchen lief, dass alles reibungsarm ablief.

Die Zigarette war sein stĂ€ndiger Begleiter. Ich als Nichtraucher dachte ja erst immer, es ginge ihm um den Genuss. Doch bei ihm war’s etwas Anderes, das ihn zum StĂ€ngel greifen ließ. Das wurde mir irgendwann mal klar.

In einer Besprechung – es gab lĂ€ngst rauchfreie BĂŒros und eigene Raucherzimmer – fiel mein Blick auf seine HĂ€nde. Er griff nach einem Glas Wasser. Die eine Hand nĂ€herte sich dem Glas und – zitterte. Die Finger – zitterten. Ich blickte irritiert zu ihm auf. Und dann zu seiner anderen Hand, die er auf der Lehne seines Sessels platziert hatte. Auch da – ein Zittern.

Die Besprechung wurde kurz pausiert. Bio-Brake. Einige zweigten dann ins Raucherkammerl ab. Auch er. Als das Meeting dann weiterlief, achtete ich erneut auf seine HĂ€nde. Das Zittern – war weg. Er rauchte zur Beruhigung, zum Stressabbau. Und Stress hatte er wahrlich genug. Es lief gewaltig viel bei ihm zusammen. Und doch schaffte er es immer wieder, alles auf die Reihe zu kriegen. Gab‘s ein technisches Problem? Er kĂŒmmerte sich darum. War ein Job abgestĂŒrzt? Er startete ihn neu. Egal, um welche Uhrzeit. Auch am Wochenende. Wenn die Firma rief, dann war er da.

Er riss sich den Arsch auf fĂŒr das Unternehmen – fĂŒr „unser“ Unternehmen. Damit war er nicht der Einzige, fĂŒrwahr nicht. Es gab und gibt schon auch noch Andere, die sich so stark fĂŒr das Unternehmen einsetzten und sich mit ihm identifizierten. Die das vielzitierte „Große Ganze“ stets im Blick hatten. Die sich um die Themen kĂŒmmerten – egal, ob sie formal dafĂŒr zustĂ€ndig waren oder nicht.

Doch der Unterschied ist – er ist jetzt tot.

Ist es das wert? Ist das wirklich wert?

WĂ€hrend ich so nachdenke, lĂ€uft es mir siedend heiß ĂŒber den RĂŒcken: Das, was ich mit ihm verbinde – Einsatz, Umsetzungswille, Aufopferung, Stress – all das gilt in gleicher Weise fĂŒr mich. Und mir wird plötzlich klar: Wenn ich so weitermache wie bisher, dann bin ich auf dem besten Weg, so zu enden wie er.

Er ist – er war derselbe Jahrgang wie ich.

© Andreas Trimmel 2022-03-27