Einfache Nachricht

Hannes Marschoun

von Hannes Marschoun

Story

Ich werde meinen achtzehnten Geburtstag nicht mehr erleben. Noch vor Mitternacht wird alles vorbei sein. Die letzten Wochen verstrichen mit Überlegungen, wie ich es anstellen sollte. Erst habe ich mich gegen die Lösung mit den Tabletten gewehrt. Schließlich kenne ich eine, bei der die Eltern rechtzeitig den Krankenwagen gerufen haben und dann? Zwangseinweisung und ab in die Geschlossene. Und dahin will ich auf keinen Fall.

Ich habe also überlegt welche Möglichkeiten ich habe, aber alles andere hat mir nicht gefallen. Vor den Zug schmeißen, will ich dem armen Fahrer nicht antun. Eine Zeit lang habe ich mit dem Gedanken gespielt von einem hohen Gebäude zu springen. Aber dann sind mir die ganzen fremden Menschen eingefallen, die meinen Sturz sehen müssen, vielleicht auch kleine Kinder. Wenn ich mir einen Tod aussuchen könnte, dann wäre es erfrieren. In Serien und Videos heißt es immer, das ist wie einschlafen. Und kurz vor dem Ende soll einem sogar nochmal warm sein. Das klingt wirklich ideal. Allerdings haben wir September … Es muss schnell, sauber und am wichtigsten sicher sein. Einmal begonnen, soll es niemand mehr verhindern können. Es verging viel Zeit, bis ich schließlich begriff, dass ich die ideale Methode nicht finden würde. Letztendlich brachten mich meine Überlegungen nur wieder zu den Tabletten und dem Alkohol. Ich werde einfach so viel wie möglich von beidem nehmen.

Würde mich jemand fragen, warum ich das eigentlich mache, warum ich nicht mehr leben will, ich könnte wahrscheinlich keine richtige Antwort geben. Es gab kein schreckliches Erlebnis, kein Trauma, aus dessen Konsequenz sich diese Selbstmordgedanken entwickelt hätten. Es ist eher so, als wäre mein Leben von Jahr zu Jahr immer trostloser, grauer und freudloser geworden. Meine Eltern würden es nicht verstehen, würden es entweder nicht ernst nehmen oder mich direkt einliefern lassen. Niemand würde es verstehen.

Noch ein letzter Blick aufs Handy, 23:35 Uhr. Fuck! Ich sollte mich beeilen. Noch vor meinem achtzehnten Geburtstag soll alles vorbei sein und irgendwie habe ich eine seltsam abergläubische Angst vor diesem Datum. So, also nochmal alles durchgehen, alles bereit? Wein? Tabletten? Abschiedsbrief? Ich greife zum Korkenzieher, da lässt mich etwas innehalten.

Das Summen meines Handys. Eine Nachricht? Als ich es ausschalten und fortfahren will, lässt mich der Text auf dem Display innehalten.

Heeey, alles alles Gute zum Geburtstag! 😊 Hast du am Dienstag spontan Zeit, dass wir uns treffen? Da bin ich aus Australien wieder da und würde dir dein Geschenk vorbeibringen. Alles Gute und viel Spaß heute noch!

Julia. Meine ehemalige Klassenkameradin und frühere beste Freundin. Ausgerechnet jetzt schreibt sie mir? Nachdem wir fast ein Jahr keinen Kontakt mehr hatten und ich mir sicher war sie nie wiederzusehen. Aus einem plötzlichen Impuls heraus packe ich die Tabletten und den Wein und bringe beides zurück an ihre eigentlichen Plätze. Es läuft ja nichts davon. Und ein ganz kleines bisschen bin ich auch gespannt auf Julias Geschenk.

© Hannes Marschoun 2023-08-31

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Emotional, Hoffnungsvoll, Traurig, Angespannt
Hashtags