Eingesperrt in der Pariser Métro

Brigitte Thonhauser

von Brigitte Thonhauser

Story

Nach einem ausgiebigen Bummel durch Paris war ein Abend in der Comédie Française mit einem Stück von Molière der würdige Abschluss für mich. Da die Vorstellungen in Paris viel später beginnen als ich es von Wien gewohnt war, endete auch diese erst nach Mitternacht, und es begann ein allgemeiner Wettlauf zur Station Palais Royal, denn jeder wollte noch die letzte Métro erreichen.

Als ich völlig außer Atem gerade noch in den Waggon hinein gehuscht war, fühlte ich mich sehr erleichtert. Meine Heimfahrt war gesichert. Als damals junges Mädchen mit zwanzig Jahren war es mir eine Beruhigung, dass auch ältere Leute in der Métro saßen und ich nicht allein war. Ich wohnte damals im eleganten 16. Bezirk von Paris, wo die Straßen in der Nacht ziemlich leer waren, und der Weg von der Haltestelle bis zu meinem Quartier verursachte mir oft ein mulmiges Gefühl in der Magengrube. Als der Zug endlich um etwa ein Uhr morgens bei der Station Michel-Angel Auteuil ankam, war ich die einzige Person, die ausstieg. Es fiel mir auf, dass die Station nicht mehr beleuchtet und es daher ziemlich finster war. Die Türen der Waggons schlossen sich klappernd hinter mir, und der Zug verschwand im Tunnel. Ich fasste all meinen Mut zusammen und stieg die Stufen zum Ausgang hinauf. Oben angekommen traute ich meinen Augen nicht. Der Ausgang war mit einem Scherengitter versperrt und ich konnte nicht hinaus. Der Schreck fuhr mir in die Glieder und ich sah mich schon die Nacht am Bahnsteig mitten unter den Ratten verbringen. Vielleicht waren aber auch noch Clochards, jene berühmten Obdachlosen von Paris, da unten versteckt. Ein kalter Schauder überkam mich und ich begann verzweifelt an den Gitterstäben zu rütteln. Dabei kam ich mir vor wie ein kleiner Affe im Käfig und musste bei diesem Gedanken beinahe lachen. Ich rief um Hilfe, doch da war niemand. Endlich kam jemand vorbei. Es war ein eng umschlungenes Pärchen, das sich zunächst von meinen Rufen nicht stören lassen wollte, doch schließlich hatten die beiden Mitleid mit mir und verständigten die Polizei. Kurz darauf erschien auch die zuständige Schaffnerin und entschuldigte sich für ihr Verhalten. Sie hatte auf den letzten Zug vergessen. Als ich ihre Schlüssel klappern hörte, fühlte ich mich erleichtert. Mein Gefängnis hatte sich geöffnet, und da kamen auch schon die Polizisten an. Sie fragten mich, ob ich gegen die reuige Schaffnerin Anzeige erstatten wollte, worauf ich aber verzichtete. Nun wollten sie wissen, ob sie sonst etwas für mich tun könnten. Da mir die Knie vor Angst noch schlotterten, bat ich die Polizisten, mich nach Hause zu fahren.

Als ich am nächsten Tag meinen französischen Freunden von meinem Abenteuer erzählte, schlugen diese entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen, denn sie meinten mit einem verschmitzten Lächeln, es wäre viel gefährlicher für mich als junges Mädchen gewesen, allein zu zwei jungen Polizisten ins Auto zu steigen als in der Métro Station eingesperrt zu sein.

© Brigitte Thonhauser 2021-01-28

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