von Peter Schwanter
Ein Klopfen an meiner Tür und die Schwesternschülerin, die mich schon vorher zu meinem Zimmer begleitet hatte, holte mich nun ab, um mir den übrigen Teil des Hauses zu zeigen. Es wurde ein Rundgang, bei dem ich mit neuen Eindrücken förmlich überschüttet wurde. Für mein Gegenüber war es das erste Mal, dass sie alleine diese Einführungsrunde machen musste, und deshalb erpicht schien, mir nur ja keine Information vorzuenthalten. Vor der Tür zum Seidenmalraum erbat ich mir eine Verschnaufpause und versuchte dem netten Fräulein klar zu machen, dass es selbst für einen Gehirnakrobaten, mit der Merkfähigkeit eines Stephen Hawking, unmöglich wäre, all diese Hinweise und Erläuterungen zu speichern. Und ich, in meinem psychischen Erregungszustand, könne mir ohnehin nur Bruchteile merken, da ich mich schon zu Beginn der Führung nur darauf konzentriert hatte, wieder zu meinem Zimmer zurückzufinden.
Sichtlich erleichtert nahm sie meine Worte auf, obwohl ich anfangs nicht genau wusste, ob sie der Vergleich mit Hawking oder mein verzweifelter Blick überzeugt hatten. Nichtsdestotrotz war dies der Beginn einer sanften Freundschaft, die mir in den folgenden Wochen einige Male über die Runden geholfen hat. Ihr zuversichtliches Lächeln, wenn wir uns auf den Gängen begegneten, die kurzen Gespräche zwischen Tür und Angel und die Ruhe, die sie ausstrahlte, sind mir bis heute in Erinnerung geblieben.
Abends alleine in meinem Zimmer, meine Sachen hatte ich schon im Kasten verstaut, Bücher und die Schreibutensilien lagen auf dem viel zu kleinen Tisch, begann die Ruhe bei mir Einzug zu halten. Es war diese Art der Stille, die man fühlt, wenn das Tagewerk erledigt ist. Wenn man mit leicht verschämten Stolz auf das Geleistete zurückblickt, es abzuwägen beginnt, und taxierend dem Vergleichbaren der letzten Zeit gegenüberstellt.
Ich hatte an diesem Tag beinahe alle zwei Stunden Gitti angerufen, um ihr meine Eindrücke zu schildern, um ihr zu sagen, dass alles gut werden würde. Ich hatte mich bei jedem Telefonat vergewissert, sie an meiner Seite zu haben. Ich fühlte mich leer aber unglaublich wohl. Das etwas beklemmende Gefühl, mein Zimmer mit jemand anderem teilen zu müssen, war kleiner geworden. Einerseits durch den Umstand, dass ich mich gleich nach dem Mittagessen für ein Einzelzimmer angemeldet hatte, und andererseits war mit jeder neuen Bekanntschaft, die ich an diesem Nachmittag gemacht hatte, ein Teil meiner Unsicherheit verschwunden.
Die stürmischen Zeiten, die vor zwei Monaten über mich hereingebrochen waren, schienen sich langsam in Geduldigere zu wandeln. Ein weiterer Schritt war getan. Er fügte sich in den entworfenen Plan ein, und der vorgestellte Weg begann an Form zu gewinnen. Es lagen zwar noch offene Fragen und Richtungsentscheidungen vor mir, doch das Gesamtgerüst stand und hatte auch heute wieder an Stabilität gewonnen.
© Peter Schwanter 2021-04-10