von Nicole Coulibaly
Auf Höhe der gewohnten Autobahnausfahrt gab der Wagen den Geist auf. Da half auch kein Fluchen. Das Gaspedal regte sich nicht mehr, so oft sie es auch mit dem Fuß traktierte. Warnblinker, scheiße, scheiße, rechts ran, ausrollen lassen. Natürlich regnete es. Sie blieb einfach sitzen und ließ die Autos, die keine Probleme hatten, links an ihr vorbeischießen. Kannst du mich abholen? Wo bist du, was ist los? Da und da, das und das. Auf ihren Mann war Verlass. Keine halbe Stunde später waren die Gelben Engel da, luden ihre Schrottkarre auf und verschwanden damit in der Dunkelheit. Sie sank auf den Beifahrersitz, der schon vorgeheizt war und bedankte sich. Die Höflichkeit hatten sie auch in 30 Ehejahren nie aufgehört zu pflegen.
Ich hab was gekocht.
Okay.
Oder wolltest du was essen gehen?
Ich hab noch einen Zoom nachher.
Ach so.
Die Enttäuschung in seiner Stimme drängte sich in ihren Gehörgang und schwappte wie eine Welle in die Region ihres Gehirns, in der ihr Mitleid zusammen mit ihrem schlechten Gewissen hauste.
Ich lass ihn ausfallen, ist nicht so wichtig.
Musst du nicht. Wenn es dir wichtig ist.
Ich hab doch gesagt, dass es nicht so wichtig ist. Was gibt es denn?
Dein Lieblingsessen.
Es kann sein, dass sie ein bisschen weinte.
Der Zoom war dann doch noch wichtig. Während des Essens kamen ein paar Nachrichten rein, Erinnerungen ihrer Gruppe, bloß nicht den Call zu verpassen, schließlich werde heute der Grundstein für die nächsten Wochen gelegt, der Fahrplan besprochen, das Commitment abgelegt. Er zeigte Verständnis. Mach nur. Vergnüge ich mich eben mit Belinda. Den Satz sprach er in letzter Zeit öfter aus, zu Beginn hatten sie ihn beide noch lustig gefunden. Sie hatte die Eifersüchtige gespielt, das gefiel ihm. Aber konnte man eifersüchtig sein auf eine Gitarre? Es war albern.
Willst du alles? Ja! Bist du bereit, alles zu geben? Ja! Bist du zu 100% committed? Hell yes! Wenn du 100% willst, musst du 200% geben. Okay.
Nach dem Zoom war sie verschwitzt. Sie zog ihre weiße Bluse aus, die nach dem langen Tag ein bisschen roch. Eine Yoga Session zum Runterkommen war schon noch drin. Ihr Körper schmerzte vom Sitzen vor dem Bildschirm, die Übungsabfolgen waren mühsam. Die anschließende Meditation tat gut. Ein Blick aufs Handy zeigte vier verpasste Anrufe, ihr Sohn. Sie würde morgen zurückrufen. Die eiskalte Dusche raubte ihr den Atem, aber es musste sein.
In der Küche sah es aus wie Sau. Er war ein hervorragender Koch und ein lausiger Hausmann. Sie räumte das schmutzige Geschirr in die Maschine, wusch die Töpfe ab und wischte über alle Flächen, bis sie sich wieder gefangen hatte. Dann ging sie in den Keller. Seine Tür war nur angelehnt. Er lag leise schnarchend auf dem Sofa, Belinda auf ihm. Seine Finger berührten ihren Hals und bei jedem Einatmen vibrierten die Saiten. Die Töne waberten sacht aus dem Verstärker in den stillen Raum. Verloren in der Ruhe und der Zeit, in dem Lächeln auf seinem Gesicht stand sie im Türrahmen und spürte ihren Empfindungen nach, dem Stechen in ihrer Brust, dem Kloß in ihrem Rachen.
Es war albern.
© Nicole Coulibaly 2024-02-17