Einmal die Ferne sehn, das weite Meer …

Christine Sollerer-Schnaiter

von Christine Sollerer-Schnaiter

Story
Deutschland 1957 – 2023

Mit den Sehnsuchtsliedern von Freddy Quinn bin ich aufgewachsen. Hamburg hat dabei eine wichtige Rolle gespielt, denn mein Vater war in den 50er Jahren Reiseleiter beim Hamburger Abendblatt, ein Reisebüro, das Oberau – meinen Heimatort – als Urlaubsziel vertrat. Deshalb gingen viele Hamburger bei uns ein und aus. Darunter auch Anna von Grumbkow, die Baronin genannt. Sie wurde die Freundin meiner Mutter und Oberau ihre 2. Heimat. Ihren Hamburger Slang, den sie zur Freude von uns Kindern manchmal übertrieb, ahmten wir natürlich sofort nach. ‚Ich sstieß an einen sspitzen Sstein.‘ Mein erster Besuch in Hamburg 1981 war ein trauriger, denn ich besuchte mit meiner Mutter ihr Grab. Ihre Tochter hatte uns eingeladen und es wurde ein wunderschöner Aufenthalt mit viel Fröhlichkeit gemischt mit Wehmut. Eine Handvoll Heimaterde und ein ‚Buderl Schnaps‚, dem Anna sehr zugesprochen hatte, brachten wir auf ihr Grab. Wir wohnten in einem gediegenen Patrizierhaus in Altona und Margret, Annas Tochter und Rosemarie, Annas Schwester zeigten uns die schönsten Plätze und fuhren auch mit uns an die Ost- und Nordsee und in die Lüneburger Heide. Ich aß zum ersten Mal Miesmuscheln und Scholle. So viel hatte die Baronin uns erzählt, und nun erlebten wir alles live: eine Hafenrundfahrt mit den beeindruckenden Speicherhäusern. Der Blick vom Michel, das Wahrzeichen Hamburgs, bot ein unglaubliches Panorama. Für die Seeleute war sein Anblick der erste Gruß ihrer Heimatstadt, wenn sie nach langer Seefahrt zurückkehrten. Turmbläser blasen Choräle in alle Himmelrichtungen, zu Ehren Gottes und zur Freude der Menschen.

Anfangs war ich enttäuscht, dass es ja gar kein Meer in Hamburg gab, bis ich realisierte, dass die Elbe hier so breit war, dass Hamburg trotzdem ein Seehafen ist und auch die größten Schiffe hier ein und auslaufen. Die Alster trägt ebenfalls dazu bei, dass fast alle Hamburger Ruderer und Segler sind. Es ist unglaublich schön, an der Binnenalster zu spazieren und in Ausflugsbooten zu den schönsten Gaststätten zu fahren. Meine Nichte hat viele Jahre später auf so einem Schiff geheiratet – ein wunderschönes Fest – und ihre Heimat in Hamburg gefunden. Frühstück auf dem Fischmarkt und ein nächtlicher Spaziergang durch St. Pauli vermitteln unverkennbares Hamburger Flair. ‚Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, ob du’n Mädel hast oder ob kein’s … Komm doch, liebe Kleine, sei die meine, sag‘ nicht nein. Du sollst bis morgen früh um neune meine kleine Liebste sein… hat der unverwechselbare Hans Albers gesungen und mancher Verehrer beim Rendezvous. Heute wäre es sexistisch, damals ein Hauch von romantischer Verruchtheit.

Geschwärmt hat die Baronin auch von der Lüneburger Heide und sie hatte recht – violett blühender Erika, Wacholder und Heidschnucken. Die Leibspeise dieser Schafrasse mit den gebogenen Hörnern ist das Heidekraut. Bücher von Hermann Löns fanden sich im Bücherregal zu Hause und ich hatte sie mit Begeisterung gelesen. Löns war als Schriftsteller, Naturforscher und -schützer bekannt. Er wurde zum Mythos und als „Heidedichter“ verehrt. Vielleicht ist auch die Baronin und Hamburg so etwas wie ein Mythos geworden, an den ich mich gerne erinnere und Martina ein Grund mehr, wieder hinzufahren.

© Christine Sollerer-Schnaiter 2025-02-26

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Emotional, Informativ, Inspirierend, Reflektierend