Es war ein eisig kalter Tag, rund um Weihnachten, an dem ich das riesige Geschäft betreten hatte. Ich erinnere mich so deutlich daran, als wäre es erst gestern gewesen. Ich war eigentlich auf der Suche nach warmen, kuscheligen Pullovern gewesen, welche ich bereits in mehreren Farben und Formen durchprobiert hatte, da zog es mich auf einmal nach links hinten zu der Abteilung mit den festlichen Gewändern. Ich steuerte schnurstracks auf eines der edlen, bodenlangen Kleider zu – schwarz – was ich mir überhaupt nicht erklären konnte, weil ich diese Farbe nicht wirklich liebe. Dieser Traum aus Samt hatte mich irgendwie in seinen Bann gezogen, ich hielt es andächtig in meinen Händen, betrachtete die exquisit gestaltete mittige Raffung und die unzähligen Glitzersteine im “Altdiamantschliff” welche das Dekolleté umsäumten.
Ich muss wohl einige Minuten dort im Eckchen gestanden sein, bis ich den Entschluss fasste, dass ich dieses wunderschöne Stück anprobieren sollte, denn ich wollte mich einmal im Leben für einen kurzen Augenblick wie eine echte Prinzessin fühlen. So huschte ich elfengleich damit in die Umkleidekabine, öffnete ganz vorsichtig den Reißverschluss und ließ das edle Teil ganz langsam an meinem Körper hinab gleiten. Für Sekunden hielt ich schier verzaubert die Luft an, während ich in den Spiegel blickte, denn dieses Kleid saß wie angegossen, so als hätte ein Schneider es exakt für mich entworfen. Ich schwelgte minutenlang im Gedanken, fühlte mich fast so wie in einem Märchenfilm, wenn der Prinz gleich erscheint und vor seiner Prinzessin niederkniet.
Schweren Herzens entzauberte ich mich wieder, hängte das Prachtstück auf den Bügel und trug es an seinen Platz an der Wand zurück. So viel Geld hatte ich leider nicht dabei und durfte ich auch nicht ausgeben.
Übers Wochenende tauchte immer wieder das Bildnis des Kleides in meinen Gedanken auf. So beschloss ich mein Sparbuch zu plündern und in den darauffolgenden Tagen nochmals ins Geschäft zu pilgern. Welch Glück, das Kleid hing noch an seinem Platz und ich erkannte freudestrahlend, dass der Preis sogar herabgesetzt wurde. Ich muss wohl wie ein Laternchen gestrahlt haben, als ich damit zur Kassa wandelte.
Ich nahm mir vor, dieses Kleid ab und zu aus dem Schrank zu holen und mich ein Stündchen wahren Prinzessinengefühlen hinzugeben. Nachdem mich mein vermeintlicher Mr. Right damals darin erblickt hatte, als ich es bei seinem Erscheinen kurz anzog, zückte er mit glänzenden Augen, ganz aufgekratzt, jedoch völlig sprachlos seine Kamera, um mich einzufangen und die Bilder später seinen Brüdern in einem fernen Land zu zeigen.
Seither hab ich das gute Stück eigentlich nur mehr im Schrank hängend betrachtet, sanft darüber gestrichen, vielleicht sogar auf ein kleines Wunder gehofft, doch es nicht mehr angezogen. Das soll sich nun ändern, denn ich werde es nun voller Freude herausholen und wieder für einen kurzen Moment Prinzessin sein, egal ob mit oder ohne Prinz …
© RENAvonRAVENSTEIN 2020-12-05