von Sophie K
Im Traum ist ihr mal wieder ein Zahn ausgefallen, aus dem Kiefer geschraubt. Hat ein Loch hinterlassen, der Wackeldackel hing gerade so am Limit, fast draußen. „Guten Morgen zusammen, ich habe seit gestern eine starke Erkältung und bin für diese Woche krank. Viele Grüße.“ Lähmend. Auf dem Weg zur Industrie- und Handelskammer nähert sich ihr eine aufgeblasene Papiertüte in kantigen Flickflacks über den Gehweg.
Gestern wäre sie fast an einem Stück Wagyu Steak erstickt – einen unnötigen, dekadenten Tod gestorben. Plötzlich dicht, clogged, keine Chance, vielleicht zwei Minuten noch. Heimlich-Griff, Loch in die Luftröhre, waren ihre Millisekundengedankenströme. In einem hohen Sprung und einem durchdringenden Huster den halb zerkauten, kinderhandgroßen Brocken Fleisch auf den Teppich gebellt. Rinderblut auf dem Wohlfühlweiß. Glück gehabt.
Noch Zeit, Füße vertreten. Die Quarktasche beruhigt sie mit ihrer fest-fluffigen Konsistenz, der milden Süße, nicht dröhnend wie die von Marzipan, sondern eher wie ein freundliches Bett. Sie läuft hinter einer Zigarettenfahne her, die sie nicht stört. Der Tag war wie Minuten, schon vier? Hoffentlich klappt das alles gleich.
Die gutmütige Frau vorhin am Telefon, die ihr jetzt gegenüber sitzt, hat Verständnis für die Situation. ‚Manche haben eine drei Kilometer dicke Schicht aus Tanten und Kuchen, die brauchen das nicht. Die werfen die Haare zurück und gehen nach Haus, wo Liebe ist. Dann gibt’s solche, die wohnen, aber sind sich selbst kein Zuhause, haben dünne Wändchen als Magen, zittrige Wangen als Schilde. Keine Airbags aus tortensüßen Umarmungen und zärtlichen Worten.‘
Denkt es und erklärt der Frau die Sache mit der Spinne, die an Zulauf gewinnt, an Niederträchtigkeit, die blondierten Curare Pfeile, mit denen sie schießt.
Tippt, nickt ihr, die mit rundem Rücken und weiten ehrlichen Bettelaugen spricht, mitfühlend zu. Mit Frau Soundso klären, ob sie die Ausbildung, diese wechselhafte Angelegenheit, auch ohne Betrieb beenden kann. In so einem Falle höherer Gewalt. Hier sogar ganz physischer, arachnoider. „Ich kann es Ihnen nicht versprechen. Melde mich.“
Das Boot ist zu spät. Nur ein zwinkerndes Hyaluronboot stöckelt vorbei. Es zieht an der grauen Wand zum Meer. Der Wasserbusfahrer ist unerwartet schön, die Nase wirft einen geraden Schatten über ein weiches Auge. Hinter seinem Adamsapfel laufen die Lichter auf dem Wasser, springen von Welle zu Welle. Dahinter alles schwarz, Himmel Horizont Boden. Dass so einer den Muttermund ins Schwingen bringt, nicht ausgeschlossen. Zumindest per Silikon und in Gedanken. Die Hose drückt am Nervenbündel zwischen ihren Beinen.
Überfreundliches „Danke, schönen Abend“ beim Aussteigen. Eine Routine, mit der sie sich in ihrer höflichen Monotonie selbst erstaunt. Langweilt und geniert sich langsam in der Wiederholung.
Das Tor ist schwer, der Schlüssel unten in der Tasche, hebt sie mit dem Knie an, angestrengtes Kramen auf einem Bein. Die ungewöhnlich eisige Frühsommerluft rauscht an den Ohren, die schnell rote, knisternd kalte Muscheln werden. Sie stippelt durch den Garten zu ihrem zweitürmigen Schloss. Endlich zu Hause, endlich weich werden.
Auf ihrer Insel ist es still, umschlagen vom Rollen und Ziehen der Naturgewalten. Ein bisschen Disney, ein bisschen Alcatraz.
© Sophie K 2024-08-23