von FranzForFuture
„Eins Komma Fünf Grad? Ja, das kommt hin, so kalt ist es in etwa. Aber warum zeigt das Ars Electronica Center die Temperatur an?“ Solche Gedanken werden am frühen Abend des 16. Dezember 2022 so einige Autofahrer gehabt haben.
Nein, das AEC ist nicht zum Thermometer mutiert. Anlass für die Fassadenbotschaft war eine Mahnwache von „Fridays for Future“, die an das „Übereinkommen von Paris“ erinnerte. Diesen Vertrag haben auf der UN-Klimakonferenz 2015 fast alle Staaten der Erde unterzeichnet. Sie verpflichteten sich darin, die globale (durchschnittliche) Erwärmung – seit Beginn der Industrialisierung, die ca. um 1860 angenommen wird – auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Dies wird oft fälschlich als „1,5-Grad-Ziel“ bezeichnet. Ziele will man erreichen, und zwar möglichst schnell. Die Erwärmung um 1,5° ist jedoch kein Ziel, sondern eine Grenze, eine Schwelle am Tor zur Hölle. Denn das Überschreiten dieser Schwelle macht sich selbst verstärkende Effekte, sogenannte „Kippelemente“, sehr wahrscheinlich. Am bedrohlichsten der 19 bisher identifizierten Kippelemente sind das Abschmelzen des arktischen Meereises und des grönländischen Eisschilds.
Es ist relativ einfach auszurechnen, wie viel CO2 jedes Land noch in die Luft blasen darf, bis die daraus resultierende Erwärmung die 1,5°-Grenze überschreitet.
Die deutsche 1,5°-Grenze verläuft unter Lützerath. Natürlich auch an vielen anderen Orten, aber nirgends sonst wird derart klar sichtbar, worum es geht. Lützerath ist ein denkmalgeschützter Weiler am Rande des Braunkohletagebaus Garzweiler in Nordrhein-Westfalen. Der deutsche Energiekonzern RWE will Lützerath (wie schon 16 andere Dörfer und Baudenkmäler wie die Immerather Sankt-Lambertus-Kirche, eine Tuffstein-Basilika aus dem Jahr 1891) zerstören, um die Kohle gewinnen und verbrennen zu können. Wenn das passiert, dann hat Deutschland seine Klimaziele verspielt. Deshalb wollen Klimaaktivisten die Zerstörung von Lützerath mit allen Mitteln verhindern.
Die Braunkohleverstromung ist die größte CO2-Quelle Europas. Damit ist Lützerath ein Symbol für die Welt. In Uganda, Mexiko und Indien halten Klimaaktivisten “Lützi bleibt”-Schilder in die Kamera. Lützerath ist ein Symbol für die Unfähigkeit Europas, ernsthaft Klimaschutz zu betreiben.
Unter 1,5 Grad zu bleiben, ist aus heutiger Sicht unrealistisch. Zu wenig haben die Regierenden, auch in Österreich, bislang dafür getan. Die Politiker setzen mutwillig die Artenvielfalt, den Erhalt der Lebensräume, Süßwasserreserven, die Ernährungssicherheit, kurz und dramatisch ausgedrückt: die Zukunft der Menschheit aufs Spiel.
Eins Komma Fünf Grad. Daran muss erinnert werden. Und dafür muss – politisch und gesellschaftlich – gekämpft werden.
© FranzForFuture 2023-01-01