Einschulung und Umzug in ein anderes Heim

Anne Michel

von Anne Michel

Story

1960 wird Oliver eingeschult. 3 Jahre besucht er mit großer Freude den Unterricht. Doch die Aufenthalte in verschiedenen Krankenhäusern häufen sich. Durch die vielen epileptischen Anfälle erleidet er erneut irreparable Schäden im Gehirn. In der Folgezeit ist es ihm oft wochenlang nicht möglich, die Schule zu besuchen. Er versäumt deshalb sehr viel und kommt im Unterricht nicht mehr mit.1963 wird er deshalb umgeschult. Ab sofort besucht er gemeinsam mit anderen lernschwachen Kindern eine Hilfs- und Sonderschule. Der dortige Unterricht ist dem beschränkt lernfähigen Leistungsvermögen der Kinder angepasst, wodurch Oliver in der Lage ist, dem Unterricht problemlos zu folgen und die damit verbundenen Aufgaben zu bewältigen. Er geht gerne zur Schule. Denn dort kann er etwas lernen. In den Unterrichtsfächern »Lesen und Schreiben« ist er besonders gut. Nachdem er viele Wörter gelernt und deren Bedeutung verstanden hat, beginnt er seine Gedanken und Gefühle in Reime zu fassen. Er schreibt sein erstes Gedicht:

„An Schüler und Lehrer

Wir gehen zur Schule und wir Schüler haben keine Zeit

Wir müssen so viel lernen, unser Weg ins Leben ist so weit.

Wir sitzen und schwitzen uns dabei kaputt.

Wann kommt der Duft.“

3 Jahre kann er insgesamt die Geborgenheit im Kinderheim genießen. Warum er 1963 plötzlich und unerwartet, im Alter von 9 Jahren, in ein anderes Heim, weit weg von zu Hause, verlegt wird, kann er nicht verstehen. Noch weniger kann er begreifen, dass er erneut gegen seinen erklärten Willen, seinen Lebensmittelpunkt wechseln muss. Ein Mitspracherecht bei dieser willkürlichen Entscheidung, besitzt er nicht. Wie ein Paket hat man ihn im Kinderheim einfach abgeholt und in ein anderes Heim transportiert. Wieder ist ein Kinder- und Jugendheim seine neue Bleibe, das diesmal eher eine Verwahranstalt anstatt Heimat ist. Es ist ein Heim, in dem schreckliche Zustände herrschen. Mädchen und Jungen müssen sich gemeinsam in einem Raum duschen. Privatsphäre haben die Kinder nicht. Grenzüberschreitungen jeglicher Art sind vorprogrammiert und Teil ihres täglichen Lebens. Auch Oliver wird zunehmend übergriffiger, distanzloser. Immer öfters lässt er sich von den anderen zu allerlei unsinnigen Taten anstiften. Er findet es großartig, wenn sie sich mit ihm beschäftigen, und denkt sich absolut nichts dabei, wenn sie ihn für ihre Zwecke einspannen und benutzen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass er eines Tages beim Duschen der Erzieherin den Bikini herunterreißt. Die Meute johlt, lacht und Oliver handelt sich eine deftige Backpfeife ein. In der Folgezeit entgleitet der Junge den Erziehern immer mehr. Er schwänzt die Schule, kommt mit den Verhältnissen im Heim nur schwer, oftmals überhaupt nicht zurecht. Ihm fehlt Liebe, Zuwendung und Geborgenheit, die ihm das Personal nicht bieten kann oder will.

© Anne Michel 2022-11-13

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