Einst so nah

Madeline Calvelage

von Madeline Calvelage

Story

Unsere Flaschen treffen aufeinander. Das Klirren hängt für eine Weile in der Luft.

Bereits zum dritten Mal stoßen wir auf alte Tage an und allmählich fällt es mir schwer, das Gespräch am Laufen zu halten. Immer wieder wandern ihre Blicke zu den anderen Tischen, immer häufiger bleiben ihre Augen am Handy haften. Langsam bekomme ich das Gefühl, nur eine von vielen Verabredungen zu sein und sie mit meinen Erzählungen zu langweilen.

Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut, sie wiederzusehen. Doch auch wie bei unseren letzten Treffen in den vergangenen Monaten, fühle ich nicht mehr die Leichtigkeit, die ich sonst gespürt habe.

Mir wird klar, dass uns unsere Vergangenheit mehr verbindet als die Gegenwart. Die gemeinsamen Jahre in der Schule, der Ausbildung und danach, wiegen so viel mehr als das, was wir jetzt haben.

Auf einmal wird es lauter in der Bar. Musik aus den 80igern hallt durch die Räume. Ruckartig füllt sich die kleine Tanzfläche. Für eine ganze Weile beobachten wir die anderen Leute, die sich euphorisch in den Armen liegen. Alle feiern ausgelassen. Jeder scheint in ein Gespräch vertieft zu sein.

Die lockere Atmosphäre um mich herum macht mir bewusst, wie verkrampft ich auf meinen Hocker sitze. Ich blicke zu meiner Freundin, die mit ihren Augen wieder ganz woanders ist. Wenn ich daran denke, was wir bereits alles zusammen erlebt und geteilt haben, dann frage ich mich, ob allein diese Tatsache ausreicht, um weiterhin an unserer Freundschaft festzuhalten. Vielleicht muss ich akzeptieren, dass unsere gemeinsame Zeit vorbei ist. Nur weil wir uns einst so nah gewesen sind, muss das nicht ewig gelten.

Nachdenklich nippe ich an meiner Flasche Bier und überlege kurzzeitig, unser Treffen abzubrechen. Minutenlang suche ich nach einer plausiblen Ausrede – irgendeinen Grund, um plötzlich gehen zu können. Möglicherweise zieht sie genau dasselbe in Betracht und redet deswegen nicht mit mir.

Doch ich weiß, ich mache es mir zu leicht. Wie könnten wir uns in all den Jahren nicht verändern? Und wie sollte eine Freundschaft, die bereits so lange besteht, keine Tiefen haben? Wahrscheinlich ist es besser, die Situation sacken zu lassen und dem Ganzen etwas Zeit zu geben. In einem Jahr könnte wieder alles wie früher sein – vielleicht aber auch nicht.

Zu erwarten, dass sich eine Beziehung für immer gleich anfühlen wird, ist womöglich naiv. Doch die Vorstellung, erneut etwas Vertrautes aus meinem Leben gleiten zu sehen, ist beängstigend. Es zeigt mir, wie sehr die Jahre voranschreiten und es vermutlich irgendwann nur noch eine Handvoll Menschen geben wird, die ich anrufen kann, wenn es mir schlecht geht.

Aber ich komme nicht dazu, weiter darüber nachzugrübeln. Von jetzt auf gleich werde ich von meiner Freundin auf die Tanzfläche gezogen, wo wir den Rest des Abends bleiben und sich jeder Schritt genauso wie damals anfühlt.

© Madeline Calvelage 2022-08-13