Einundzwanzig, zweiundzwanzig…

koll_ika

von koll_ika

Story

Ein grauenhaftes Donnern zerriss die schwüle Nacht. Gleich darauf erhellte ein weiterer Blitz das Zimmer und durch das gekippte Fenster hörte ich den Regen auf die umliegenden Dächer, den immer noch aufgehitzten Asphalt und gegen die Scheibe prasseln. Die unzähligen, schnell fallenden Tropfen produzierten ein durchgehendes Rauschen, das vom einzigartigen Geräusch der durch die nassen Straßen fahrenden Autos begleitet wurde.

Ein neues hässliches Donnern, wieder ein heller Blitz und ein weiteres lautes Krachen. An Schlaf war natürlich nicht mehr zu denken. Hellwach lag ich im Bett, die Decke bis unters Kinn gezogen und lauschte der Gewalt der Natur. Wie nah das Gewitter wohl war? „Einundzwanzig, zweiundzwanzig …“, begann ich, allerdings unterbrachen das Hell-Dunkel-Spektakel im Zimmer sowie die doch leicht angsteinflößende Geräuschkulisse draußen meinen Zähl-Gedanken und versetzten mich in meine Kindheit zurück.

Mit einem Lächeln auf den Lippen erinnerte ich mich daran, dass ich mich als kleines Mädchen furchtbar vor Gewittern geängstigt hatte. Der Lärm? Die Blitze? Die tiefschwarzen Wolken? Die unheilvolle Weltuntergangsstimmung? Den genauen Grund weiß ich nicht mehr, nur das heftige Klopfen meines Herzens und das Rauschen des Blutes in meinen Ohren sind mir bis heute in Erinnerung geblieben. Panisch und ohne nachzudenken war ich jedes Mal in Windeseile aus dem Bett geschlüpft, über den dunklen Flur und den kalten Boden ins Schlafzimmer meiner Eltern getapst und zu ihnen ins Bett gekrochen. Ihre beruhigendenden Worte konnten mich nie besänftigten, im Gegenteil: Schreckliche Bilder aus den Abendnachrichten, die ich nur während des Spielens wahrgenommen hatte, waren durch mein kindliches Hirn gegeistert. Reißende, braune Bäche, vom Blitz gespaltene Bäume, unter Wasser stehende Garagen und Keller, hektische Feuerwehrleute im Schein des Blaulichtes waren für ein sensibles Kind wie mich schwer zu verarbeiten gewesen. Lediglich das Gefühl der Sicherheit und des Behütetseins hatten mich zur Ruhe kommen und mich zwischen meinen Eltern friedlich weiterschlafen lassen.

Ein erneutes Donnergrollen, bereits deutlich abgeschwächt und weiter entfernt, holte mich in die Gegenwart zurück. Auch der Regen schien nachgelassen zu haben und kühle, frische Luft strömte durch das gekippte Fenster. Obwohl ich keine richtige Angst empfunden hatte, drehte ich mich doch ein klein wenig erleichtert zur Seite und tastete nach der Hand meines Freundes. Er drückte sie kurz, um mir zu signalisieren, dass alles gut war, und ein warmes Gefühl der Geborgenheit durchströmte mich. Beruhigt schloss ich die Augen und fühlte, wie Müdigkeit und Schlaf mich nach dem vorbeigezogenen Gewitter erneut überwältigten und in die Welt der hoffentlich blitz- und donnerfreien Träume entführten.

Foto: unsplash.com

© koll_ika 2021-06-29

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