Eiskalt abserviert (3)

Maria Büchler

von Maria Büchler

Story

Nach dem nächtlichen Ausflug zum See und dem zweiten kurzen Blick ins rätselhafte Ruderboot fand ich erst recht keine Ruhe mehr. Als Mann brauchte ich zwar keinen Schönheitsschlaf, aber in wenigen Stunden musste ich zur Arbeit. Also suchte ich im Radio nach einer Musiksendung. „Jeanny, quit livin‘ on dreams.“ Ich legte mich aufs Sofa, wollte eine Weile dösen, folgte unwillkürlich dem Text. Such a lonely little girl. Doch solche Songs trieben mich nur noch tiefer ins Grübeln. Besser, ich ging in die Firma.

Meine Schuhe waren feucht und sandverklebt, die rechte Sohle hatte sich vorn gelöst. Naja, waren halt keine Budapester. Ich säuberte sie notdürftig und machte mich auf in die Stadt.

Unkonzentriert saß ich das Meeting ab. Am Feierabend hielt es mich nicht länger. Statt mit den Kollegen noch eins trinken zu gehen, nahm ich den Bus und fuhr zum See.

Schon von weitem war mir klar, was los war. Ein Motorboot hatte die „Trouvaille“ im Schlepp und machte gerade am Steg fest. Mehrere Polizisten kletterten in die Jolle und beugten sich über das darin liegende Mädchen. Jemand telefonierte, während ein Fotoapparat zum Einsatz kam. War sie tot?

Dann hob einer sie an und trug sie zum Steg: eine willenlose Gestalt im kurzen Kleidchen, über dem Gesicht eine Maske, unter der rote Locken hervorquollen. Er nahm sie wie zum Tanzen in die Arme und machte ein paar Tangoschritte auf das Ufer zu.

„Jetzt ich!“, schrie ein Kollege, die andern brachen in Gelächter aus. Einer näherte die glühende Spitze seiner Zigarette der hellen Gummihaut und machte „Peng!“

„Verschwinde! Die gehört jetzt mir, ich hab’ sie als erster gesehen.“ Ich kam mir getäuscht und betrogen vor und wollte hier nicht länger bleiben.

„You’re lost in the night, don’t wanna struggle and fight, there’s someone who needs you“, brauste es durch meine Synapsen.

Gehörte das Mädchen nicht von Rechts wegen mir? Als einsamer Single hätte ich gegen eine Bettgefährtin nichts einzuwenden gehabt, zumal eine von der Sorte, die keine Ansprüche stellt.

Daheim warf ich angeekelt die Schuhe in den Abfalleimer. Die Sohle hatte sich schon fast verselbständigt, ein Kaugummi klebte daran – weg damit! Ich hatte sowas von genug von allem, setzte mich neben das Radio und suchte die Frequenz meiner Lieblingssendung. Jeden Montagabend wurde hier über Musikstücke mit speziellem Hintergrund berichtet.

„When a Swiss Boy goes calling to a Swiss Miss in June… Das war das erste Lied von einem Schweizer Komponisten, das internationalen Ruhm erlangt hat. 1948 erreichte es sogar Platz 3 der US-Hitparade“, erzählte der Sprecher. „Zum Abschluss der Sendung ein weniger bekanntes Lied von Artur Beuls Ehefrau, Lale Andersen, die mit Lili Marlen weltberühmt geworden ist. Wir danken fürs Zuhören und freuen uns auf nächsten Montag, wenn es wieder heißt: Musik, die Geschichte schrieb.“

Die Intro lief bereits in die Worte der Abmoderation hinein, und eine warme Frauenstimme begann zu singen: „Ich schick dir eine Prise Sand…“

© Maria Büchler 2021-03-14