Als Kind, irgendwann in den letzten Sechzigern des vergangenen Jahrtausends, aß ich Buchstabensuppe. Die Suppe selbst, eine Packerlsuppe, schmeckte mir nicht sehr, aber mit den Buchstaben konnte man Wörter rundherum am Tellerrand auflegen, und allein darum ging es mir. Die Suppe wurde kalt, die Buchstaben quollen währenddessen auf und wurden unförmig groß. Die vertrockneten Wörter blieben schließlich am Tellerrand kleben.
Gibt es auch Buchstabensuppe mit griechischen oder kyrillischen Buchstaben? Oder mit den verschiedenen Alphabeten Südostasiens, die so dekorativ aussehen, dass man sie fast für Ornamente hält? Bei Arabisch stelle ich es mir schwierig vor, bei Hebräisch könnte es gehen. Chinesisch, Japanisch vielleicht? Ultimativ interessant wären aber Hieroglyphen.
Sicher möglich wäre aber Buchstabensuppe aus Emojis, denn diese kleinen Zeichen werden ja immer mehr zu einer eigenen Sprache. Vielleicht gibt es Emojis in Form von Teigwaren, denn da habe ich auch schon Autos gesehen, Weihnachtsbäume, Fußbälle und allerlei Erotisches.
Mit den Emojis habe ich aber, außer in Form von Suppe und Teigwaren, so meine Probleme, denn ich halte sie fast immer für schlichtweg überflüssig und oft so uneindeutig, dass sie mich mehr verwirrt als klarer zurücklassen. Ich erinnere mich, in einem Zeitungsartikel gelesen zu haben, die Emojis “Seilbahn” und “Straßenbahn” würden besonders selten verwendet. Das wundert mich nicht, denn wozu sollten die denn gut sein?
Als treue Anhängerin des Wortes an sich drücke ich mich immer noch gerne darin aus, und wenn meine Botschaft erst dann verständlich ist, wenn ich eine ganze Reihe von bildlichen Erklärungen dazugebe, neige ich immer noch dazu, die Schuld bei mir und meiner mangelnden Ausdrucksstärke zu suchen, obwohl mir inzwischen klar ist, dass man durchaus auch das schwache Sprachverständnis der Leserschaft verantwortlich machen könnte. Ich selbst verwende niemals Emojis, nicht einmal in WhatsApp-Nachrichten, denn sogar da fällt mir die richtige Wahl schwer.
Auch bei Story.one beobachte ich die Tendenz zu den kleinen Zeichen. Die Kraft der Wörter reicht wohl manchen nicht aus. In Kommentaren waren sie immer schon vertreten, und einige Kommentare bestehen nur noch aus Emojis. Da akzeptiere ich es noch irgendwie, denn Kommentare sind oft kurz und emotional, aber differenzieren lässt sich damit nur schwer. Wenn aber die bunten Bildchen, die längst nicht mehr nur aus Varianten des ursprünglichen gelben Gesichtchens bestehen, in den Texten selbst auftauchen, so schätze ich das weniger, denn man sollte an der eigenen Ausdruckskraft nicht so sehr zweifeln.
Andererseits wäre es interessant zu sehen, ob man nur mit Emojis eine verständliche Geschichte erzählen kann.
Ich jedenfalls kenne mich in der Emojisuppe, die über uns hereinschwappt wie aus einem überfüllten Suppenteller, nicht mehr aus. Ich bleibe lieber bei der guten, alten Buchstabensuppe meiner Kindheit.
© 2021-11-29