von Anna Geier
Das Krankenhaus hat nach einem weiteren Aufenthalt meines Vaters einen Pflegeplatz gefunden. Es war zwar nicht in Zwettl wie erhofft, sondern in einem anderen Bezirk. Ich war froh, die Sorge der anstehenden immer intensiv werdenden Pflege los zu sein, musste aber weiter fahren um ihn besuchen zu können.
Gemeinsam mit meinem Partner fuhren wir dorthin ,um ihn zu besuchen. Mein Vater bekam eh nichts mehr mit, so weit war er schon von der Realität entfernt. Was wir dort im Pflegeheim gesehen haben, das war heftig. Mein Partner hält so etwas gar nicht aus, daher fuhr er auch nie mehr mit. Noch heute spricht er über die für ihn so schockierenden Erlebnisse.
Es waren schon sehr spezielle Zimmergenossen im Heim. Da lag ein alter Mann im Bett und rührte sich nicht mehr. Er musste an der Tisch gesetzt werden, dort saß er dann und aß nichts. Wäre er nicht gefüttert worden, hätte er jede Nahrungsaufnahme vergessen oder verweigert. Ein anderer Nachbar war spastisch gelähmt, sehr eingeschränkt in seinen Bewegungen, aber unglaublich fröhlich. Er lachte und schrie andauernd, wenn er mich sah. Ich verstand ihn nicht, aber er suchte Kontakt zu mir. Fast schon rührend, wie er vom Rollstuhl aus mich erreichen wollte.
Da war auch noch ein junger Mann,geschätzte 30 Jahre alt. Ich fragte, warum der da ist. Da erklärte mir eine Pflegerin, dass er mit etwa 18 Jahren plötzlich geistig weg war. Er kam mit der Realität nicht mehr zurecht, konnte sich nicht mehr versorgen und hatte auch niemanden . Da er alleine war, kam er in das Heim. Dieser junge Mann lag nur im Bett und wollte nie aufstehen und zog sich die Decke über den Kopf. Die Betreuerinnen kamen oft ins Zimmer und jagten ihn aus dem Bett. Immer wenn er aufstehen musste, trank er Unmengen an Wasser und ging am Gang auf und ab. Dann legte er sich wieder hin und pinkelte sich an. Er hatte eine Windelhose an, die hielt aber die Mengen an Wasser nicht, so war er dauernd nass. Dann ging das Spiel wieder von vorne an. Unmengen an Wasser trinken, auf und ab gehen, Unmengen pinkeln, gewickelt werden.
Der nächste Zimmergenosse glaubte das WC sei die Trinkflasche. Er pinkelte gleich an Ort und Stelle in die Flasche, die am Nachtkästchen stand, aber vieles ging daneben und es war überall nass. Die Schweinerei war perfekt. Ich lief schnell zur Pflegerin hinaus, um ihr das zu sagen, damit er nicht von der Flasche trinkt.
Völlig verwirrte Menschen mit absurden Verhaltensweisen erlebte ich dort. die forderten alle heraus. Mein Vater bekam kaum mehr etwas mit. Das war auch gut so.
Nach 5 Wochen Aufenthalt im Pflegeheim, am 4. März wollte ich in der Früh gleich ins Altersheim fahren, denn genau 10 Jahre davor war meine Mutter gestorben. Da kam schon der Anruf vom Heim: “ Ihr Vater ist gerade verstorben!“ Als hätte ich es gespürt. Meine Nachbarin im Waldviertel sagte zu mir:“ Du, der hat auf den Sterbetag von deiner Mutter gewartet!“
Es war eine Erlösung für uns alle.
© Anna Geier 2019-12-20