endgültig

Johanna Floss

von Johanna Floss

Story
2019 – 2020

Die Scheinwerfer weisen uns den Weg durch die Dunkelheit. Langsam kämpft sich das Auto durch den Regen. Tiefschwarz ist diese Nacht. Ich kenne den Weg mittlerweile in- und auswendig, würde ihn blind finden. Wir sitzen im Auto, sie und ich, schweigsam. Was gibt es schon zu sagen? Nichts, was wichtig wäre. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir beim Hospiz an, ich parke das Auto, öffne ihr die Türe. Ich nehme sie beim Arm und führe sie selbst wie ferngesteuert durch die sich automatisch öffnende Türe. Alles ist ruhig, still, geräuschlos. Lediglich die Flamme der Kerze flackert und bewegt sich wie zu einer rührigen Musik. Wir gehen an ihr, der Kerze, vorbei, wohlwissend, für wen sie heute brennt, für wen sie vor kurzem erst entzündet worden ist. Es ist 2 Uhr 55. Die Zimmertüre ist nur angelehnt und doch wagen wir es nicht, hineinzugehen. Sie setzt sich auf einen der Stühle im Gang und ich starre stehend aus dem Fenster, starre hinaus in die finstere Nacht. Nun also.

Als dein Sohn und ich zu Bett gegangen waren, hatten wir es gewusst, nicht geahnt, sondern gewusst, dass der Morgen anders sein würde. Und doch waren wir eingeschlafen, erschöpft und kraftlos. Anstrengend und zermürbend waren die letzten Tage gewesen. Nun wussten wir, was dein Gehirntumor wirklich bedeutet. Das Telefon hatte uns um 2 Uhr 37 aus dem Schlaf gerissen. Wir waren aufgestanden, hatten uns angezogen, aber kein Wort gesprochen. Ich hatte gewartet bis die Kinder versorgt waren und war dann deine Frau anrufend und abholend, nachgeeilt. Dein Sohn hingegen war gleich bei dir. Um das Letzte zu tun, was er noch für dich tun konnte. Waschen, bekleiden.

Er tritt aus der Türe und sie und ich gehen auf ihn zu. Ich lasse ihr den Vortritt, deiner Frau. Ich schlucke, nehme deinen Sohn in den Arm. Du liegst hier, fremd und doch bist es du. Die Kerze flackert auch in deinem Zimmer, der Vorhang bauscht sich und die Zimmertüre öffnet sich, ohne dass jemand eintritt, ohne Luftzug. Bist es du?

Um kurz nach 4 Uhr liegen wir für ein paare wenige Stunden Schlaf wieder im Bett. Ich schlafe wie ein Stein, regungslos. In der Früh ist dann alles anders. Das Unwetter der Nacht hat sich verzogen, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und deine Enkelin hüpft durch unsere Wohnung: „Hurra, Opa gehts jetzt gut!“

Wir nehmen den Weg zum Hospiz ein letztes Mal, sie will unbedingt ein letztes Mal zu dir. Jetzt liegst du friedlich im Bett, deine Gesichtszüge haben sich entspannt und es ist, als würdest du lächeln, als würdest du uns sagen wollen, „Jetzt ist alles gut.“ Das bist du, das warst du. Werde ich mich je an die Vergangenheitsform gewöhnen? Wir verabschieden uns nun endgültig von dir. Endgültig.

Und doch begreife ich erst jetzt, ein Jahr später die Bedeutung dieses Wortes. Endgültig. Ab nun gibt es keine Erinnerung an dich, die mit den Worten beginnt: „Weißt du noch, letztes Jahr, um diese Zeit…“ Ab sofort gibt es nur mehr die Endgültigkeit. Die Endgültigkeit und die Hoffnung, dass wir uns wiedersehen.

© Johanna Floss 2020-05-05

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