Endlosschleife

Tun de_Jong

von Tun de_Jong

Story

Es gab Zeiten, da spielte ich pausenlos Musik. Ich sang, sprang, spielte Theater, las und schrieb die ganze Woche lang. Doch heute wird mir bei dem Gedanken bang. Jede Bewegung kostet Mühe, sieht behäbig aus. Das einfache Vor-sich-hin-vegetieren: schon das macht mir den Gar aus. Das Schlagzeug steht in der Ecke, zentimeterdick von Staub bedeckt, tote Fliegen liegen auf dem Fell der Snare. Ein Schlag und sie flögen ein letztes Mal; die Spannung und die Vibration machen es möglich. Neben dem Ride steht die alte Anlage: CD-Player, Plattenspieler, Verstärker, alles drum und dran. Drum und dann: gleißender Schmerz in der Hand, in den Armen. Sehnenentzündung. Chronisch. Na, dann… Müde lächelnd schaute ich den einzelnen Drumstick von Ray Charles an, den mein Großvater als Techniker bei einem Konzert mitgenommen hatte, weil er auf der Bühne vergessen wurde. Auch das Schlagzeug würde ab jetzt nur Evokation von Erinnerungen sein.

Ich höre sie wohl, die Musik. Doch bietet sie weder Halt noch Geborgenheit, wie sie dies früher tat. Jetzt ist sie Treiber der Zerstörung, Ansporn des Verfalls. Positive Songtexte klingen höhnisch, negative wie der Soundtrack der Tragödie, die ich lebe – Unheil vorhersagend. Die Sprache spielt dann auch keine Rolle mehr, transportiert doch ohnehin die Tonlage das Wesentliche. Vages dumpfes Gefühl, dass bald etwas passieren wird, ja sogar muss. Doch bis zu diesem erlösenden Moment: Katastrophisierung in der Endlosschleife. Da war noch dies und jenes, welches ich vergessen hab, man würde sich bald melden. Und dann: schriller Schrei des Telefons! Könnte auch die Totenglocke sein. Ich muss dann die Ober- von der Unterlippe trennen, meine Zunge bewegen, meine Stimmbänder zum Erklingen bringen. Um die Kraft dafür aufzubringen, weiß ich, kann ich jedwede Pläne, die ich vielleicht für später gehabt hätte, wieder streichen. Ich kann heute entweder ein Telefonat führen oder vor die Tür. Beides scheint zu viel gewollt. Ich arbeite, wie die Steckdosen in Amerika, nur mit 120 Volt.

Ich schau’ den Wecker an: 11:17 Uhr. Zwei Minuten nur? Mehr ist noch nicht vergangen? Mir wird übel beim Gedanken an die unzählige Aneinanderreihung zweier Minuten, die dieser Tag noch auf Lager hat. Ich erinnere mich an die 10 Minuten, die man laut Stoiber locker braucht, um in Frankfurt an sein Geld zu kommen und muss kurz schmunzeln. Doch die Mundwinkel sind genauso schnell wieder unten als sie hochgeschnellt waren. Leicht geht das Lächeln von den Lippen. Leichter noch fühlt es sich in meinem Körper an. Kein befreiendes, ja gar beflügelndes Gefühl der Schwerelosigkeit, nein. Eher: Leere und Kraftlosigkeit, der Kontakt mit meinen Gliedmaßen fast verloren. Nur noch zeitverzögert und abgeschwächt kommen die Signale bei mir an. Es ist dann auch egal, ob es heiß oder kalt draußen ist. In mir herrscht ewige Raumtemperatur. Fad, langweilig, verbraucht – die Blässe des Seins im nebligen Mondschein. Immer dasselbe. Wann hört das da capo auf?

© Tun de_Jong 2023-07-05

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Reflektierend, Angespannt