Die achte Lerneinheit im Englischbuch für die zweite Klasse handelt vom Kuchenbacken. Die Schüler amüsierten sich über die Geschichte von den englischen Kindern, die einen Kuchen backen wollten, aber das Backpulver vergaßen und daher eine Torte flach wie eine Pizza aus dem Backrohr holten; die Enttäuschung der Küchenmeister war groß, aber in einem unbewachten Augenblick bewies der Haushund, dass die Kuchenpizza essbar gewesen wäre.
Neben versteckter Grammatik gab es in der Lerneinheit auch ein Rezept für einen echten englischen Kuchen. Mehrere Schüler und ich selbst hatten das Rezept schon ausprobiert und für gut befunden. Mädchen und Buben schauten mich erwartungsvoll an: ob ich ihnen so einen Kuchen … Ich winkte ab: „Ich denke, das könnte ihr sicher selber machen. Es gibt bestimmt welche unter euch, die schon einmal einen Kuchen gebacken haben.“
Mit diesen Worten erreichte ich bei Konstanze Zuhörposition. Sie befreite ihr Gesichtsfeld von ihrer dunklen Mähne, hinter welcher sie sich bis zu diesem Augenblick getarnt anderen Beschäftigungen gewidmet hatte: „Wie, was? Kuchenbacken? Ja, ja, das kann ich!“
Wenn Konstanze in Aktion trat, zog sie die Aufmerksamkeit auf sich, und so wusste nun endlich auch der verschlafenste Mitschüler, was das Thema der heutigen Stunde war. Sie wurde nun gedrängt zu versprechen, den englischen Kuchen zu backen und in die nächste Stunde mitzubringen.
Ein paar Tage später lag ein in Alufolie gewickeltes Etwas auf meinem Platz im Konferenzzimmer. Ich ahnte, was das Päckchen enthielt.
Bevor ich in die zweite Klasse unterwegs war, meldete sich Konstanze an der Konferenzzimmertür: „Frau Professor, Frau Professor“, sprudelte sie hüpfend hervor, „der Kuchen ist so grauslich!“
„Ach ja? glaubst du, dass wir uns den Magen verderben werden?“
„Ach nein, ja, nein, der ist gaaanz grauslich. Den dürfen Sie nicht in die Klasse mitnehmen.“
Sie zappelte hektisch, strich sich mit den Fingern durch ihre ungebärdigen Haare und stotterte von neuem: “Nein, bitte, nehmen Sie ihn nicht in die Klasse mit. Essen Sie ihn selber!“
Und damit schwirrte sie vor mir ab in die Klasse. Ich folgte ihr mit meinem Arbeitsmaterial, ohne Kuchen. Die Schüler der 2b starrten auf meine Bücher: „Wo ist der Kuchen? Wir haben gesehen, dass Konstanze einen Kuchen hatte.“
Eine Weigerung würde eine Revolution zur Folge haben, also holte ich den Kuchen.
Einige Buben zückten ihre Taschenmesser und zerlegten den Kuchen, und bevor noch jemand feststellen konnte, wie „grauslich“ der Kuchen eventuell war, pickten Unersättliche schon die letzten Brösel auf.
„Na, Konstanze, warum wolltest du den Kuchen deinen Mitschülern vorenthalten?“ (Ich selbst hatte kein Stück mehr ergattert). Konstanze fegte sich ihre Haare erst dekorativ vors Gesicht, um sie dann mit geübtem Schwung nach hinten zu schleudern: „Aber ich hab doch das Backpulver vergessen, genau wie in der Geschichte im Buch!“
© Gertraude Vymetal 2019-04-11