Entmannt

Zurücklehner

von Zurücklehner

Story

Da sitze ich nun im Vorzimmer des OP’s der Klinik.„Das machen wir gleich ambulant“, meinte der etwas verschmitzt, aber durchaus vertrauensvoll dreinblickende Arzt im Vorgespräch letzte Woche: „Eigentlich eine Kleinigkeit, und sie müssen sich sicherlich keinerlei Sorgen machen. Für uns ist das wirklich Routine, die wir aber natürlich in der Abwicklung sehr ernst nehmen“, ließ er zu meiner Beruhigung mit sonorer Bassstimme verlauten.„Der hat leicht reden! Ich würde ihn gerne an meiner Stelle sehen, ob er dann auch so lässig seinen goldenen Parker stetig durch seine schlanken, aber kräftig wirkenden Finger gleiten ließe. Wie ein Jongleur mit seinen brennenden Keulen kam er mir vor, aber doch bereits das Stilett in den Fingern sehend und nicht sein Schreibwerkzeug edelster Marke. Möchte sehen, wenn sie ihn seiner Männlichkeit beraubten. Er, der den Kugelschreiber wie ein erschlanktes Phallussymbol durch seine ach so begnadeten Hände gleiten ließ.„Ich werde doch nicht beginnen, ihn zu hassen? Ihn, dem ich einen Teil meines irdischen Glücks anvertrauen will! Reiß dich zusammen, bleib objektiv, sachlich, gelöst und beherrscht. Bist ja sonst auch nicht so zimperlich, so verletzlich oder gar wehleidig!“Ich schätze ihn, warum auch immer, auf zwei bis drei Kinder ein. Ein Frauentyp, schlank, sonnengebräunt, strahlend weiße Zähne. Die Idealbesetzung für jede 100-teilige Arztserie. Er hat Charme, muss ich gestehen. Aber in Wirklichkeit – ein Schlachter!Sich einfach damit abzufinden, nichts mehr für seine Fortpflanzung beitragen zu können, auch wenn die großartigste Mutter seiner zukünftigen Kinder seine Wege und Lenden kreuzen würde? Da würde er dreinschauen, der Herr Doktor, so wie die meisten anderen männlichen Zeitgenossen. Einen trockenen Hals, Schluckbeschweren und Atemnot würde er genauso bekommen, wie alle anderen auch, wenn sie in der Lage wären, darüber nachzudenken. „Ich würde Ihnen diesen Schritt sehr empfehlen“, hörte ich ihn zu mir sagen: „Sie werden sehen, Ihr Leben wird viel einfacher, unkomplizierter und sicherer werden.“„Mag sein, der hat ja wirklich leicht reden. Für immer aus, es nicht mehr rückgängig machen zu können, so endgültig“, schoss es mir durch den Kopf.Später vielleicht schon einfacher, aber jetzt?

„Herr Lehner“, schallte es aus der halb geöffneten Tür vor mir.“ Kommen Sie bitte!“„Komm Sandro“- und mit einem leichten Zug an der Leine verstärkte ich das Kommando.„Was, ich?“ schien der treue und für mich ängstlich wirkende Blick meines jungen italienischen Mischlingsrüden zu bedeuten.Aber er folgte mir durch die Tür, seiner Entmannung entgegen.

© Zurücklehner 2021-10-02

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