von Momo Dio
Die Uhr zeigte 21:00 Uhr an. Donnie hätte schon längst zu Hause sein sollen. Barbara war die Letzte, die er sah. „Mach nicht wieder so lange, Donnie“, sagte sie und warf ihm die Ersatzschlüssel auf den Tisch „und vergiss nicht, die Alarmanlage anzuschalten“. Das mechanische Geräusch des Einsteckschlosses war das Letzte, was er von ihr hörte. Donnie wollte die Abrechnung fertigmachen, bevor er das Kaufhaus verlässt, das hatte er sich in den Kopf gesetzt. Nur das kleine Licht der Bürotischlampe hielt die völlige Finsternis auf. Schatten spielten um den Tisch, als warteten sie darauf, ihn zu verschlingen. Donnie war vertieft.
Endlich war er fertig. Er blickte mit Erstaunen auf seine billige Armbanduhr, neuer Rekord 0:12 Uhr dachte er sich und senkte die Augenbrauen wieder. „Jetzt noch kurz aufs Klo, dann kanns nach Hause gehen“, sagte er und leuchtete sich den Weg mit dem Handy. Bei der Kleiderabteilung hinter den Umkleidekabinen waren die Toiletten. Die Durchgangstür knarzte. Sie schloss sich meist, wenn er in seiner Kabine die Hose runter lies. Diesmal nicht. Der dumpfe Ton, der das gewohnte Geräusch abrundete, blieb aus. „Ist da jemand?“, fragte er in die Dunkelheit, den er hatte es für unnötig gehalten, das große Licht anzuschalten. Keine Antwort. Jetzt ertönt es, die Durchgangstür war zu. Seltsam, dachte er sich und öffnete seine Kabinentür vorsichtig. Das Handylicht traf den Schlitz der Durchgangstür. Ertappt vom Licht blieben die Silhouetten stehen, die eben noch unter der Durchgangstür wuselten. Donnie wusste nicht, was er sah. Es wurde ihm ganz mulmig. „Reiß dich zusammen, Donnie“, sagte er sich und schob die Durchgangstür auf. Schnell durchquerte er mit starrem Blick die Kleiderabteilung. Seine Augenwinkel konnten die Veränderungen nicht ignorieren, die geschlossenen Vorhänge der Umkleideräume und die fehlenden Kleiderstapel. Er wollte am liebsten rennen, doch seine Neugier zwang ihn stehen zu bleiben. Die Puppe, die er gerade passierte, musste er sich noch einmal anschauen. Schweißtropfen flossen über seine Stirn. Die Angst füllte sein Geist. Keine der Puppen in ihrem Repertoire sah so aus. Er musste es wissen, alle von ihnen hatte er zusammen gebaut. Er leuchtete auf den unbedruckten Plastikkopf. Konturen bildeten sich. Erst Nase und Augenbrauen, dann der Mund, dessen Winkel bis zur Stirn hingen und zum Schluss die Augen, die ihn direkt anstarrten. Donnie konnte sich nicht bewegen. Er wollte es nicht. In der Hoffnung, übersehen zu werden. Es ging auf ihn zu. Jetzt rannte Donnie. Mit einer Hand in der Hosentasche, um den Schlüssel auszukramen, preschte er zur Ausgangstür. Der Schüssel lag auf dem Schreibtisch. Unbeholfen rüttelte er an der Tür. Sie war verschlossen. Er musste zurück. Durch das Rütteln wurden sie wach, alle und wussten, wo er war. Nur wenige Schritte fehlten. Im Licht der Bürotischlampe funkelte der silberne Retter. Plötzlich griff ihn eine Hand. Geschickt befreite er sich, stolperte die letzten Schritte und schnappte sich den Schlüssel. Jetzt drehte er sich um. Sie blickten ihn an. Er war umzingelt. Sein Urteil gesprochen.
Verwundert blickte Barbara auf das Handgelenk. „Seit wann verkaufen wir billige Armbanduhren?“
© Momo Dio 2024-09-10