von MISERANDVS
Als sich der Gesundheitsminister hinstellt und über das Versagen der Regierung in Sachen Pandemiebekämpfung reflektiert, sagt er: “Ich entschuldige mich dafür.” Ich nehme es zur Kenntnis, ungerührt, unbeeindruckt. Doch jemand im Web ist da wesentlich aufmerksamer als ich, und er schreibt in die Kommentare: “Man kann sich selber nicht entschuldigen. Man kann nur um Entschuldigung bitten.” Wow! Kurz bin ich zornig über mich selbst, dass mir das nicht selber aufgefallen ist. In meinem Medium, der Sprache, … wie konnte mir das entgehen bis anhin? “Man kann sich nicht selber entschuldigen.” Ich sprech den Satz immer wieder, weil mich die Erkenntnis so beeindruckt. “Ent-schuldigen”, zerlege ich das Wort in seine Bestandteile. Und es bekommt in mir mit einem Mal so ein gewaltiges Bild, so eine Stärke, so eine Kraft und immense Bedeutung. Dieses kleine “ent-schuldigen” – wie hab ich es bisher unterschätzt und übersehen!
“Entschuldige mich!”, was für eine Demut steckt in dieser Bitte. Was für eine Verantwortung bürdet man einem Menschen damit auf, wenn man ihn darum bittet! “Ent-schuldige mich!” Was für eine Last wuchtet sich jemand auf die Schultern an Gewissen, zu entscheiden, ob er einen anderen Menschen von seiner Schuld entbindet oder nicht! Wie viel mehr ist es, jemanden zu entschuldigen, als ihm zu verzeihen!
Je mehr ich drüber nachdenke, umso mehr beginnt mir der Schädel zu brummen. Sollte die Entscheidung, einen Menschen zu ent-schuldigen nicht in der Verantwortung zumindest eines Gottes liegen, so schwerwiegend, wie sie ist?
Wie herzzerreißend sich in mir mit einem Mal die simple Bitte “Entschuldige mich!“ anfühlt. Schmerzhaftes Flehen, demütiges Hoffen, der Wunsch nach Erlösung… all das schwingt in mir und verleiht einem kleinen, vielgesagten Wort mit einem Mal so urgewaltige Bedeutung.
“Ich will dich künftig mehr wertschätzen, kleines Wort!”, sage ich leise vor mich hin: “Und ich werde genau überlegen, wen ich um die Gnade bitte, die in dir ruht, wem ich die Entscheidung auflaste, ob ich es wert bin, ohne Schuld zu sein, oder ob ich an meiner Schuld weiter tragen muss.”
Menschen sind nicht dazu gemacht, göttliche Entscheidungen zu treffen. Und doch heißt es: “Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.” Warum erhebt der Christengott den Anspruch darauf, dass die Rache allein sein ist, teilt aber den Gnadenakt der Vergebung mit den Menschen?
Ich ziehe mich in meine Stille zurück mit meinen Gedanken. Mich bei jemandem zu entschuldigen fiel mir immer sehr schwer. Und langsam verstehe ich, warum das so war. Vielleicht hab ich immer schon gespürt, dass es mehr braucht, als einen zerbrechlichen Menschen, um mich zu ent-schuldigen.
Ich würd mich so gern von so vielem ent-schuldigen. Gibt es den göttlichen Menschen, gibt es den menschlichen Gott, der mich ent-schuldigen kann, wenn ich weiß und fühl‘ und spür‘ und bete: “Durch meine Schuld. Durch meine Schuld. Durch meine große Schuld.”?
© MISERANDVS 2021-11-26