Franzi und ich saßen auf ihrer Couch, mein Knie lag in einer Motor-Bewegungsschiene und wurde abwechselnd gestreckt und angewinkelt, begleitet von einem leisen, konstanten Surren. Sam lag Franzi anhimmelnd auf einer Decke auf dem Boden. Nebenher lief irgendeine Serie im Fernseher, den sie routinemäßig nach dem Nachhausekommen eingeschaltet hatte. Es hatte immer mehr Situationen gegeben, in denen Franziska mich bat, ihr im Institut auszuhelfen, weil sie meine Fachkompetenz so schätzen würde und wieder einmal ein „Katastrophentag“, wie sie es regelmäßig nannte, eingetreten war. So auch an jenem Tag, der zufällig das Wochenende einläutete, das ich bei ihr verbringen sollte. Natürlich musste ich im Gegenzug für die vielen Freundschaftsdienste bei EducateMe meine bezahlte Arbeit in meinem Hauptberuf etwas zurückschrauben, aber ich konnte es schlecht jemandem verwehren, der nach Hilfe rief, erst recht, wenn es Franzi war. Sie hatte mir eines Tages erklärt, dass es ihr so schwerfallen würde, jemanden um etwas zu bitten und wenn sie es täte, dann müsse es wirklich arg „brennen“. Hm, naja, sooo dramatisch empfand ich die Situation jetzt nicht, dachte ich mir oft, wenn ich dann zur Hilfe geeilt und als Troubleshooter unterwegs gewesen war. Für sie schien es jedoch stets ein schier unüberwindbarer Berg gewesen zu sein, also akzeptierte ich das natürlich kommentarlos. Wer war ich zu entscheiden, was jemand wie empfinden sollte?
Franzis Ex-Exfreund Karl war noch nicht aus der Nachtschicht nach Hause gekommen, sodass wir beide alleine waren. Ich hatte es aufgegeben zu hinterfragen, wer jetzt mit wem gerade und ob überhaupt eine Beziehung, Freundschaft oder was auch immer führte, denn bei der Geschwindigkeit kam ich oft nicht mit. Viki und Franzi waren wohl gerade nicht zusammen, aber irgendwie doch ein bisschen. Karl und Franzi waren auch nicht zusammen, aber doch auch ein bisschen, zumindest wohnten sie zusammen und teilten trotz ausreichend in dem Haus zur Verfügung stehender Gästezimmer das Bett miteinander. Nach Franzis Version war sie mit niemandem liiert. Aus Vikis Sicht waren sie ein Paar, Franzi könne es nur nicht zugeben; Karl glaubte an das gemeinsame Leben in einer halbwegs intakten Beziehung. Jeder hatte seine eigene Realität.
In dem Haus gingen viele Menschen ein und aus. Es schien immer jemand da zu sein, als ob es eine einzige, große WG wäre – Arbeitskollegen, die zugleich ihre Freunde waren und nur ab und zu für Franzi arbeiteten, dafür aber eine Unterkunft brauchten; ihr Bruder, der sonst im Ausland lebte; ihre Mutter mit dem Lebensgefährten, die immer mal zwei Wochen da waren; Viki, die nur da war, wenn sonst keiner im Haus erwartet wurde… Mir schlackerten regelmäßig die Ohren, wenn mir einer der Genannten wieder erzählte, wer mit wem auf keinen Fall zusammentreffen durfte, weil sie sich nicht riechen konnten oder nichts von voneinander wissen durften. Oder Franzi wüst über jemandem schimpfte.
© Katharina Brüning 2021-08-15