von Emma Arafta
Und während ich so dasitze, auf dem unbequemen, wackligen Holzstuhl und gedankenverloren über Fips schreibe, obwohl mein Laptop schon seit Stunden keinen Akku mehr hat, merke ich, wie mein Leben an mir vorbeizieht. Auch mein Gingerbread Latte ist seit Monaten kalt, aber das scheint mich nicht zu stören.
Gesten sind vergänglich, aber Geschichten überleben. Selbst, wenn man sie verdrängt oder aus dem Internet löscht – Bücher können verbrannt werden, Papier geschreddert und das eigene Büro kann man ausmisten, so oft man möchte – aber Geschichten werden immer weitererzählt werden. Auch wenn sie sich vielleicht im Laufe der Zeit immer wieder etwas verändern, oder man jedes Mal beim Durchlesen etwas anderes hineininterpretieren wird. Wer keine Geschichten mehr erzählt, der lebt nicht mehr.
Währenddessen dreht sich die Bahnhofsuhr im Eiltempo vorwärts, der Bahnhof – kein Zuhause, kein Ankommen, nur ständiges Streben nach etwas, das nie wirklich greifbar war. Vielleicht sind ja inzwischen schon einige Personen hier entlanggelaufen, die meine kalten Hände langfristig hätten wärmen können, aber sie wären mir gar nicht aufgefallen, weil mein Blick ständig nur am schwarzen Bildschirm hing. Denn mit ziemlicher Sicherheit sitze ich hier umsonst meine einzigen freien Stunden ab am Hauptbahnhof, auf Fips werde ich hier nicht mehr treffen, ganz egal, wieviel Coffee To Go ich mir noch gemeinsam mit der Stadttaube reindröhne.
Hab mir schon so oft die Arme gebrochen für Fips, während ich versucht hab, ihn irgendwo zu fangen und in den Arm zu nehmen, wenn er mal wieder verängstigt durch den Hauptbahnhof gezischt ist, nachdem er sich kurz etwas zu nahe an mich herangetraut hatte. Hab Fips gespürt, selbst wenn Ragnar mir mein Sandwich aus der Hand gerissen hat, Magnus mich beeindrucken wollte oder Sami widerwillig zum Kaffeetrinken geblieben ist – den Fips, der früher Krümel gesucht hat – und wollte ihm vielleicht einfach auch einen sauberen Käfig mit ständig verfügbarem Futter bieten. Aber Scavo beißt, wenn man versucht, ihn in die Hand zu nehmen und woanders hineinzusetzen. Vielleicht weiß ich ja selbst nicht, wie man etwas hält, ohne es zu zerdrücken.
Und so sitz ich jetzt da, mit zerbissenen Fingern und offenen Knochenbrüchen, bin aber kein Typ für enge Rollkragenpullis, kann da nicht atmen, also frage ich mich im Crop Top, inwiefern es wohl zur Heilung beiträgt, dass ich hier immer noch permanent weiter in die Tasten haue. Vielleicht ist es einfach nur das, was mir bleiben wird. Dass Fips immer wieder in meinem Kopf auftaucht, in Momenten, in denen ich ein paar Tage nicht aufgeräumt habe und sich die Essensreste in der Küche stapeln. Dass ich an Fips denke, wenn ich durch den Hauptbahnhof spaziere oder Menschen in Mäusemänteln begegne. Oder dass ich – genauso wie Fips – diese Geschichte immer wieder heimlich aufrufe, wenn ich eine Auszeit von der Realität brauche und in die Fantasie flüchten will.
Denn radikale Ehrlichkeit? Sorry fürs Schimmeln, Fips – aber ich bin gar kein Käse.
„God bless, but it couldn’t be me” (CUDN’T B ME – Jessie Reyez)
© Emma Arafta 2025-06-03