Epilog Elena

Christina Farthofer

von Christina Farthofer

Story

Neben mir liegt die ländliche Idylle von Feldern gespickt mit Mohnblumen und saftig grünen Wiesen, auf denen Kühe weiden. Und vor mir die Ungewissheit. Mama unterhält sich mit dem Polizisten, der uns mit seinem Wagen zu Papa bringen soll. Bin ich nervös? Aufgeregt? Voller Vorfreude? Unbehaglich und mulmig trifft es wohl am besten. Ich habe meine Ihr-könnt-mich-alle-einmal-kreuzweise-Phase überwunden und versuche mir, seit Stunden einzureden, dass alles gut werden wird. Wie viel kann ein Mensch ertragen? Er musste blitzartig Mama und sein Zuhause verlassen und eine komplett neue Identität annehmen. Ich hoffe nur, dass Mama keine zu hohen Erwartungen in dieses Treffen setzt. Sie hat sich jahrelang gewünscht, ihn wiederzusehen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie enttäuscht zusammenbricht. “Elena, was hältst du vom neuesten Klatsch über Katy Perry? Glaubst du, da ist etwas dran?” Ich habe sie schon ewig nicht mehr so glücklich und voller Lebensfreude erlebt. Ihre Augen strahlen und sie schafft es sogar, mich damit anzustecken. Der Beamte nimmt das Gespräch wieder auf und ich sinke tief in mein Gedankenkompott ein. Kann er mich überhaupt wie eine Tochter lieben? Wahrscheinlich hat er nicht einmal ein Foto von mir. Es ist mir klar, dass wir uns Zeit geben müssen und dennoch habe ich solche Angst davor. Tausende Kinder würden sicher sofort mit mir tauschen, wenn sie könnten. Ich sollte dankbarer sein. Die Bremsen quietschen und wir steuern auf einen Wohnblock zu. Auf dem Gehsteig steht ein großgewachsener Mann mit bulligem Aussehen und unzähligen Tattoos auf seinen Oberarmen. Ist das wirklich Alex? Ich stöhne innerlich auf und tadle mich für meine Wunschvorstellung von einem perfekten Vater. Ich sehe Mama griesgrämig an und mache deutlich zu verstehen, dass ich keineswegs darauf erpicht bin, ihm eine Chance zu geben. Mamas Miene verfinstert sich und ich verdrehe meine Augen. Für den ersten Schritt musste ich mich zwingen, der zweite war weniger mühsam und die folgenden Schritte gehe ich leichten Fußes in Richtung meines Vaters. Meine Mama ist schon vorausgeeilt und wirft sich schluchzend in die Arme des … Ich halte in meiner Bewegung inne und glotze die beiden an. Mama winkt mir aufmunternd zu. Ebenfalls in Tränen aufgelöst drückt ein mittelgroßer dunkelhaariger Mann mit Vollbart und ohne Tätowierungen meine Mama fest an sich. Das ist also mein Vater. Ich weiß nicht, wie lange ich so dagestanden bin und die beiden mit großen Augen anstarrte, bis Mama mich einfach an der Hand nahm und mich hinter sich herzog. Ich öffne den Mund, aber es kommt kein Ton über meine Lippen. Alex scheint sich damit zufriedenzugeben. “Hallo Elena! Ich bin so überwältigt. Jeden Tag habe ich mir diesen Moment ausgemalt und nun ist er Wirklichkeit geworden. Ich freue mich so unfassbar, dich endlich kennzulernen.”

Lügen erdrücken uns. Daher sollten wir von Beginn an die Karten offenlegen, denn die Wahrheit kommt früher oder später immer ans Licht.

© Christina Farthofer 2021-08-14