Episode 21: Ende der Baustelle

Sandra Andrés

von Sandra Andrés

Story

Mai 2000, Hamburg

Sie saßen wie jeden Morgen am Frühstückstisch. Christian strich Butter auf sein Brötchen, Kaia aß ihr Müsli. Er las die Zeitung, sie starrte aus dem Fenster, hörte dem Ticken der Uhr zu.

„Was machen wir hier eigentlich?“, fragte sie jetzt.

Christian sah auf, sagte nichts, doch seine zusammengezogenen Augenbrauen verrieten, dass er nicht wusste, was sie meinte. Sie frühstückten, was für eine Frage.

„Langweilst du dich nicht zu Tode mit mir?“ Jeden Tag verbrachten sie ihr Frühstück auf die gleiche Weise. Dann gingen sie in ihre Vorlesungen, abends schwiegen sie sich bei Hamburgern oder Pizza an, anschließend schliefen sie irgendwann auf dem Sofa vor dem Fernseher ein. Sex gab es nur alle paar Monate. Und auch da waren sie einfallslos und routiniert. Sie führten ohne Zweifel die eintönigste Beziehung der Menschheitsgeschichte. Das musste er doch auch sehen.

„Nein“, gab er jetzt schlicht zurück. „Aber ich gebe zu, dass unser Verhältnis eher einer Freundschaft ähnelt als einer Liebesbeziehung.“

„Vielleicht sollten wir es dann einfach beenden“, schlug Kaia sachlich vor.

„Ja. Möglicherweise“, gab er zurück, als würde er zustimmen, später noch in den Supermarkt zu fahren, immer noch die Zeitung in der Hand.

Selbst dahingehend waren sie sich einig. Das räumte jeden verbliebenen Zweifel aus. Es gab nichts, bei dem sie sich in den letzten eineinhalb Jahren nicht einig gewesen waren. Kein Streit, keine heiße Diskussion zu einem Thema, keine Herausforderung. Anfangs war es schön gewesen, jemanden zu haben, mit dem sie nicht kämpfen musste, dessen Beziehung sie sich sicher sein konnte. Vor allem nach dem vorangegangenen Liebesdesaster, das sie völlig zerstört zurückgelassen hatte.

Doch das war zu harmonisch. Nein, langweilig. Zukunftslos. So konnte sie keinesfalls die nächsten zwanzig Jahre verbringen. Auch nicht die nächsten zwanzig Tage. Lieber war sie alleine, verbrachte die Abende mit Schreiben, mit der Hoffnung, eines Tages mit jemandem ein Dazwischen zu finden.

„Du musst nicht sofort ausziehen“, fuhr sie fort. „Aber ich glaube, es ist für uns beide besser, wenn wir das nächste Semester getrennt verbringen. Nach vorne sehen, möglicherweise geeignetere Partner finden.“ Christian nickte. Schlussmachen als Geschäftsvertrag. Völlig leidenschaftslos. Es passte zu ihnen.

Am Nachmittag gingen sie noch einmal in ihr Lieblingscafé, aßen Franzbrötchen und tranken Sekt-Orange. Danach spazierten sie über den Hafen, sahen den Schiffen zu, umarmten sich vor dem Tattoo-Laden, wo Kaia ihr besonderes Geburtstagsgeschenk bekommen hatte. Erinnerten sich an die guten Momente. Nur nicht gut genug.

Zwei Wochen später gingen sie getrennte Wege.

Und bei keinem von beiden floss eine Träne.

© Sandra Andrés 2021-12-03

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